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    Kajillionaire

    Bernd Wetzlvon Bernd Wetzl17. September 2021Keine Kommentare6 min Lesezeit
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    Die Betrügerfamilie aus Kajillionaire versucht sich vor ihrem Vermieter zu verstecken, um die rückständige Miete nicht bezahlen zu müssen. Dabei gehen sie stark gekrümmt in einer Reihe, sodass sie von einem Industriezaun verdeckt werden.
    Durch ihren schrulligen Gang versuchen sich die Trickbetrüger vor ihrem Vermieter zu verstecken. © Matt Kennedy/Focus Features
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    Kajillionaire ist eine charmante Tragikomödie rund um ein Trickbetrüger-Trio, das sich ihren Lebensunterhalt erschwindelt, nun allerdings mit neuen Lebensfragen konfrontiert wird. Ob der Film auch unser Herz stehlen kann, lest ihr in unserer Kritik!

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    Das Cover zeigt Old Dolio im Pop-Art-Stil vor und hinter einer Collage aus Luxusgegenständen sowie materiellen Besitztümern. Über ihren Kopf tropft der pinke Schaum aus der Fabrik, in der die Familie haust.
    Das Cover von Kajillionaire. © Zorro Medien

    Die Handlung von Kajillionaire

    Nahezu ziellos schlägt sich das Betrüger-Paar Robert (Richard Jenkins) und Theresa (Debra Winger) zusammen mit ihrer Tochter Old Dolio (Evan Rachel Wood) durchs Leben. Indem sie beispielsweise Pakete stehlen, Schecks fälschen und bei Gewinnspielen teilnehmen, erzielen sie mit viel Aufwand allerdings meist nur wenig Ertrag.
    Als ihr Vermieter Stovik (Mark Ivanir) dann irgendwann doch die, seit Monaten rückständige, Miete einfordert, sehen sich die Kleinkriminellen vor einer misslichen Lage. Jedoch schafft es daraufhin die von ihren Eltern oft gescholtene Old Dolio, bei einem Gewinnspiel eine Reise nach New York zu gewinnen.
    Bei dieser trifft das Dreigespann dann auf die extrovertierte Melanie (Gina Rodriguez), die sofort großes Interesse an der Lebensweise der Familie zeigt – sehr zum Missfallen der eifersüchtigen Old Dolio, die sich eigentlich nur eines wünscht: Wärme und Anerkennung seitens ihrer Eltern. Diese Gefühle scheinen beide allerdings nur für Melanie zeigen zu können…

    Die Gaunerfamilie hat gerade etwas Bargeld erbeutet, das Robert (Richard Jenkins) freudig mit seinem rechten Arm in die Höhe reckt. Seine Frau Theresa läuft rechts neben ihm und klopft ihm lachen gegen die Brust. Hinter den beiden läuft trottend Old Dolio (Evan Rachel Wood), deren Miene deutlich missmutiger wirkt.
    Ein kleiner Erfolg: Robert und Theresa frohlocken, während Old Dolio hinter den beiden trottet. © Matt Kennedy/Focus Features

    Das Leben in der Schaumfabrik

    „Wie hast du die beiden eigentlich kennengelernt?“
    „Sie sind meine Eltern.“

    Old Dolio wurde von Geburt an dazu erzogen, zu betrügen, wo es nur geht. Darunter fällt zum Beispiel das Fälschen von Unterschriften oder die Täuschung von Überwachungskameras durch bizarre Purzelbäume und steif wirkenden Stechschritt. Als sie jedoch für eine Nachbarin an einem Training für werdende Mütter teilnimmt, wird ihr schlagartig klar, wonach sie sich all die Jahre gesehnt hat. Denn auch wenn die sonderbare 26-Jährige sich durch ihre Kenntnisse irgendwie mit ihrer Familie durch das Leben mogeln kann, kann das doch nicht schon alles gewesen sein?

    Die Begegnung mit der lebensoffenen Melanie dient dann als Katalysator, durch den Old Dolio beginnt, ernsthaft ihr Leben und ihre Wünsche zu reflektieren. Fernab ihrer toxischen Eltern, die stets aus einer Hoheitsposition ihr gegenüber agieren und kühl jegliche Anmerkungen und Beiträge der, grundsätzlich intelligenten, jungen Frau abwinken. Dabei agieren sie eher wie Vorgesetzte, die sich einzig und allein an Leistung und ihren persönlichen Prinzipien orientieren.

    Parallel dazu lässt sich die Behausung und Kleidung der Familie interpretieren. In einem unterirdischen Großraumbüro ohne Fenster, über das sich eine Schaumfabrik befindet, domiziliert das Trio. Lediglich Schlafsäcke und nur wenige persönliche Gegenstände schmücken den kargen Raum. Die geringe Miete rührt aus dem Umstand, das jeden Tag zur selben Zeit pinker Schaum aus der darüberliegenden Fabrik durch die Decke dringt, den die Familie dann rasch beseitigen muss, um eine Fäule der Wände zu verhindern. Jeden Tag um die selbe Zeit muss jemand den farbigen Eindringling, der sich fast poetisch innerhalb der bürokratischen Tristesse entfaltet, beseitigen.

    Die Betrügerfamilie aus Kajillionaire versucht sich vor ihrem Vermieter zu verstecken, um die rückständige Miete nicht bezahlen zu müssen. Dabei gehen sie stark gekrümmt in einer Reihe, sodass sie von einem Industriezaun verdeckt werden.
    Durch ihren schrulligen Gang versuchen sich die Trickbetrüger vor ihrem Vermieter zu verstecken. © Matt Kennedy/Focus Features

    Der Traum von der „Kajillion“

    Die meisten wollen Kajillionäre sein, das ist der Traum, so machen sie Dich süchtig.

    Apropos Entfaltung und Raum – viele Möglichkeiten dazu herrschen bei Old Dolio nicht. In mal zu langer, mal zu kurzer, oft derselben Kleidung, die überdies farblich nicht zusammen passt, mäandert das skurrile Trio durch Los Angeles. Phasenweise – ob der Skurrilität – ein wenig an Wes Anderson erinnernd, ist sofort klar, dass Regisseurin Miranda July hier ein tragikomisches Portrait eines Milieus schaffen wollte, das zuerst einmal ans Überleben denken muss. Einer Schicht, in dessen Habitus für menschliche Wärme aufgrund fehlender Grundbedürfnisse kein Platz bleibt. Mitschuld an der Situation trägt hier natürlich auch der oft dogmatisch wirkende Vater, der Faulheit als Antikapitalismus und Konsumkritik tarnt, was sich Old Dolio aber natürlich nicht ausgesucht hat.

    Daraus folgend hätte eine tiefergehende, aber dennoch unterhaltsame Analyse und Ergründung dieses „vergifteten“ Abstammungsprinzips hier tonal durchaus funktionieren können. Insbesondere deswegen, weil das spätere Quartett sich irgendwann vor allem bei den ebenso Schwachen bereichert. Nachdem es zwischenzeitlich eine wohlhabende Fluggesellschaft war, trifft es irgendwann einsame Rentner*innen, die sich mitunter sogar über die Gesellschaft der Betrüger freuen. Jedoch schafft es Kajillionaire leider nur teilweise diese beiden Ansprüche ausgewogen zu balancieren.

    Vor allem durch typische Indiefilm-Elemente und ein bisschen zu viel Skurrilität wirken die Figuren selten authentisch, selten greifbar. Sperrig inszeniert findet man als Publikum keinen Zugang zu den seltsamen Charakteren, deren Grundprobleme und Motive man ja mitunter durchaus nachvollziehen könnte. Ihr übriges dazu bei tragen lange Einstellungen, in denen mitunter wenig passiert. Hier wäre ein traditioneller Ansatz möglicherweise ein wenig passender gewesen, um die Motive der Geschichte zu vermitteln. Dagegen könnte man natürlich auch argumentieren, dass das Gezeigte durch die Bizzarheit länger im Kopf bleibt – denn das schafft Kajillionaire definitiv.

    Melanie (links im Bild) blickt faszniert und unschlüssig auf Old Dolio (rechts). Diese trägt einen braunen Nadelstreifenblazer, der ihr viel zu groß ist, sowie eine dicke Hornbrille.
    Old Dolio macht ihrem Namen alle Ehre. © Matt Kennedy/Focus Features

    Träume sind Schäume – Unser Fazit zu Kajillionaire

    Wir können immer nur so sein, wie wir sind.

    Es bleibt – wie die Aktionen der Trickbetrüger – eine einfache Kosten-/Nutzen-Rechnung. Wie viel Wärme muss ich aufbringen, um erfolgreich zu sein? Wie lange muss ich mich bei den einsamen Senior*innen beliebt machen, um maximalen Gewinn aus diesen „abzuschöpfen“, wie es die Figur Robert Dyne formuliert.
    Nach diesem Minimalprinzip agiert auch Kajillionaire, der sich hinter seiner sperrigen Machart versteckt und auch beim Zuschauer dadurch möglicherweise weniger Empathie hervorruft. Wir sehen die Familie, so wie sie wirklich ist. Wir sind als allwissendes Publikum vor dem Trickbetrug gefeit, verlieren dadurch aber auch den Zugang zu den Figuren.

    Ähnlich wie auch Old Dolio blicken wir irgendwann hinter die interessante Fassade und werden dadurch von steifen Figuren und träger Erzählung vor den Kopf gestoßen. Denn von der Faszination, wie sie auch Melanie als Fan von Heist-Filmen anfangs verspürt, bleibt stetig weniger zurück. Zu gewollt, zu aufdringlich skurril platzt der Film irgendwann wie die rosa Schaumblasen an der Wand. Und scheitert an seinem eigenen Anspruch. Daran kann auch das gewitzte Ende mit Twist, sozusagen endlich der erste kleine Betrug am Publikum, leider nicht mehr allzu viel ändern. Nichtsdestotrotz bleibt für Liebhaber skurriler und ausgefallener Filme eine vorsichtige Empfehlung. Konventionelle Filmfans sollten dahingegen – durch welche verrenkte Körperhaltung auch immer – Abstand nehmen.

    Kajillionaire ist am 02. September 2021 auf DVD erschienen!


    © Zorro Medien

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