Mit Der weiße Scheich legte die italienische Regie-Legende Federico Fellini seine erste Solo-Arbeit als Regisseur vor. Ob dieser Film seinem Genie schon Rechnung trägt und auch heute noch begeistern kann, erfahrt ihr in unserer Review!
Titel | Der weiße Scheich (OT: La sceicco bianco) |
Jahr | Italien |
Land | 1952 |
Regie | Federico Fellini |
Drehbuch | Michelangelo Antonioni, Federico Fellini, Tullio Pinelli, Ennio Flaiano |
Genre | Drama, Komödie |
Darsteller | Alberto Sordi, Brunella Bovo, Leopoldo Trieste, Giulietta Masina |
Länge | 87 Minuten |
FSK | ab 16 Jahren freigegeben |
Verleih | Arthaus |
Worum geht es in Der weiße Scheich?
Die frisch vermählten Ivan (Leopoldo Trieste) und Wanda (Brunella Bovo) reisen aus der Provinz in die ewige Stadt Rom. Ivan hat ihren nur zweitägigen Aufenthalt schon minutiös durchgeplant. Neben Besichtigung der Sehenswürdigkeiten und dem Treffen mit der Familie seines hochgeschätzten Onkels steht sogar eine Audienz beim Papst mit anderen Neuvermählten an. Doch was der gestresste Gatte nicht weiß: Wanda will die Gelegenheit nutzen, um ihrem Schwarm, dem weißen Scheich, mit einem selbstgemalten Porträt ihre Aufwartung zu machen. In einer unbeobachten Minute entfleucht sie zu dem Verlag, in dem die Reihe von Foto-Romanen mit ihrem Helden produziert wird. Man ist dort von dem großen Fan sehr angetan, und prompt findet sie sich auf dem Set vor den Toren Roms wieder, wo sie dem weißen Scheich, Schauspieler Fernando Rivoli (Alberto Sordi), gegenüber steht. Doch der entpuppt sich als ganz anders als erwartet…
Turbulente Flitterwochen zweier unsicherer Ehepartner
Das junge Ehepaar ist anfangs gar nicht als solches zu erkennen. Ivan geht immer wieder laut seinen Plan für den Kurzurlaub durch, während Wanda in Gedanken schon sichtlich woanders verweilt. Sie erscheinen beinahe schon wie Fremde, was Fellini gleich zu Anfang sehr schön demonstriert. Wenn Wanda sich vom Portier schon nach oben geleiten lässt, erzählt Ivan am Empfang noch von seinen Plänen, seinem Onkel und der Audienz. Dabei merkt er gar nicht, dass Wanda längst gegangen ist, wogegen sie auch gar keine Anstalten macht, auf ihn zu warten oder ihn gar zum mitkommen aufzufordern.
Insofern erzählt Der weiße Scheich die Odyssee zweier junger Menschen zu ihrem Gegenüber. Es offenbart sich dahinter ein Drama, der Zwang ab einem gewissen Alter einfach heiraten zu müssen, vielleicht sogar arrangiert. So scheinen auch Ivan und Wanda sich noch nicht wirklich zu kennen und sind gleichzeitig zu scheu, um miteinander ehrlich zu kommunizieren.
Wanda muss sich später am Set des Foto-Shootings der Avancen des Stars Rivoli erwehren. Dieser ist nicht der galante Edelmann aus ihren Romanen. Und, wie sich herausstellt, ist er auch nicht der Schürzenjäger, der er vorgibt zu sein. Sie will eigentlich auch gar nicht mit aufs Set, lässt sich aber überreden, da ihr die Pläne Ivans nicht wirklich wichtig scheinen. Erst spät realisiert sie, dass er sie vermissen wird, sie ihn durch ihr heimliches Davonstehlen wahrscheinlich bloßgestellt hat.
Ivan hingegen schwitzt Blut und Wasser, als er das Verschwinden seiner Angetrauten feststellen muss. Er belügt seine Verwandten, deckt ihre Abwesenheit, weil es schließlich auf ihn zurückfallen würde. Als er sich dann auf die Suche nach ihr begibt, ist es der Beginn einer regelrechten Odyssee durchs Rom der Nachkriegszeit.
Fellini, Rom und das Leben nach dem Krieg
Nachdem Federico Fellini mit Alberto Lattuada die Gaukler-Romanze Lichter des Varieté (1950) inszeniert hatte, legte er mit Der weiße Scheich zwei Jahre später sein Solo-Debüt vor. Zum Filmemacher herangereift war er zuvor unter dem großen Roberto Rosselini, einem Meister des Neorealismus, der im italienischen Kino der Nachkriegszeit lange vorherrschte. Sie wurden zusammen 1945 in der Kategorie Bestes Drehbuch für den Oscar nominiert, viele weitere Nominierungen und Auszeichnungen sollten folgen. Die Filme des Neorealismus waren immer eine Bestandsaufnahme der italienischen Gesellschaft und auch Stimmungsbild der Bevölkerung nach dem zweiten Weltkrieg. Da diese Strömung auch politisch motiviert war, rückten die Regisseure dabei vornehmlich das Leid und die Zerstörung, die die Diktatur und der Krieg als ihr Erbe hinterlassen hatten, in den Fokus ihrer Inszenierungen.
Fellini selbst wollte jedoch nicht nur Verzweiflung, Not und Elend abbilden. Als großer Verehrer der weltoffenen Metropole Rom, diesem Schmelztiegel, der nicht nur für die Ruinen der Diktatur stand, sondern auch für Hoffnungen und Träume, holte auch die guten Seiten des gesellschaftlichen Lebens, Ausgelassenheit und Aufbruchsstimmung ins Rampenlicht. Auch für das Ehepaar Ivan und Wanda spiegelt die ewige Stadt Sehnsüchte wider. Er sehnt sich nach Anerkennung in den Augen seines angesehenen Onkels, sie fiebert einem Treffen mit dem Traumprinzen ihrer Lieblingsromane entgegen. Aufeinander Rücksicht zu nehmen kommt ihnen scheinbar überhaupt nicht in den Sinn. Doch der Prinz erweist sich als Trugbild, auch Ivans Streben nach Anerkennung verpufft ohne die Frau an seiner Seite.
Am Ende steht die Erkenntnis, dass sie aufeinander angewiesen sind und miteinander kommunizieren müssen. Und angesichts der Erfahrungen, die sie in den turbulenten 24 Stunden gesammelt haben, scheinen sie es miteinander dann doch gar nicht so schlecht getroffen zu haben.
Unser Fazit zu Der weiße Scheich
Zu seiner Zeit wurde Federico Fellinis Erstlingswerk von der Kritik zerrissen, man warf ihm vor grobschlächtig und minderwertig zu sein. Die Art des ehemaligen Cartoonisten, Freude und Leid, Illusion und Ernüchterung beinahe übergangslos nebeneinander zu stellen, stieß damals zweifellos vielen sauer auf. Man erwartete sich vom Neorealismus mehr als nur die vorgeblich banalen Belange junger Frischvermählter. Doch schon sein nächster Film Die Müßiggänger (1953) gewann bei den Filmfestspielen in Venedig den silbernen Löwen und brachte Fellini seinen Durchbruch als Regisseur.
Der weiße Scheich gehört sicherlich nicht zu den besten Werken des Meisterregisseurs, lässt jedoch gut erahnen, wohin es für ihn in Zukunft gehen sollte. Rom spielte immer eine große Rolle für Fellini. Durch seine Straßen schickte er arme und reiche, liebende, gefrustete, hoffnungsvolle und manchmal auch fehlgeleitete Seelen, um diese Momentaufnahmen ihres Lebens mit der Kamera einzufangen. Genau das macht er auch hier, unvoreingenommen, unbeschwert, ein guter Beobachter. Wer also mal sehen möchte, wie ein Genie seine Arbeit aufnimmt, eine Fingerübung tätigt, bevor er zu Größeren voranschreitet, kommt an Der weiße Scheich kaum vorbei. Aber auch abseits des filmhistorischen Kontexts ist dies eine leichte, aber auch nachdenkliche Komödie über die Fehlbarkeit von Träumen und den ernüchternden, aber dennoch notwendigen Schritt in die Realität.
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