Selten war die Wartezeit auf einen Film so eine Achterbahnfahrt wie bei Havoc. 2021 war der Action-Thriller des The Raid-Machers bereits abgedreht, aber dann wurde der Streifen mehrfach – und meist ohne die Gründe zu nennen – verschoben. Hat sich nun aber das Warten auf Tom Hardy und Co. gelohnt?

Havoc – Die offizielle Handlung
Der angeschlagene Polizist Walker (Tom Hardy) kämpft sich durch die kriminelle Unterwelt, die seine ganze Stadt zu verschlingen droht. Nach einem missglückten Drogendeal sind gleich mehrere Gruppierungen hinter Walker her: ein rachsüchtiges Verbrechersyndikat, ein korrupter Politiker und seine Polizeikollegen. Der Sohn des Politikers will nichts von seinem Vater wissen und seine Verwicklung in den Drogendeal enthüllt ein tiefes Netz aus Korruption und Verschwörungen. Bei dem Versuch, ihn zu retten, wird Walker mit den Dämonen seiner Vergangenheit konfrontiert.
Der Fluch der hohen Erwartungshaltung
Je länger man auf etwas wartet, desto ungeduldiger, aber auch erwartungsvoller wird man. Im speziellen Fall von Havoc ist es schon fast unfair geworden. Eigentlich konnte dieses Werk von Gareth Evans nach etlichen Aufschüben und in Hinblick auf seine vorigen Projekte – die Action-Meilensteinen The Raid 1 & 2 und die mitunter besten Episoden der Serie Gangs of London – den lechzenden Fans kaum noch gerecht werden. Und so ist es nun auch tatsächlich schwierig, den finalen Film, der bei Netflix direkt im Streamingbereich und nicht auf der großen Leinwand landet, zu beurteilen.
Ich muss zugeben: beim Schauen der ersten Hälfte verspürte ich doch ein gewisses Gefühl der Ernüchterung. Zwar ist der Auftakt mit einer wuchtigen nächtlichen Verfolgungsjagd durchaus gelungen, aber schon hier fällt im Vergleich zu den rohen Evans-Kreationen der Vorzeit ein merklich digitalerer Look auf. Darauf muss man sich erstmal einstellen. Nachdem das Adrenalin zu Beginn direkt ordentlich durch den Körper der Zuschauenden gejagt wurde, tritt Havoc erstmal auf die Bremse, um das für die kompakte Story und Laufzeit große Ensemble einzuführen und die Figuren auf dem Schachbrett dieses Gangster-Epos zu positionieren.
Hardy, Whitaker, Olyphant und Li
Wir lernen dann eben nicht nur den von Tom Hardy gespielten Protagonisten Walker kennen, sondern auch eine ganze Reihe anderer Handlungsträger, die, ob der großen Namen, zum Teil kaum Raum zur Entfaltung bekommen. Forest Whitaker (Godfather of Harlem) spielt einen Standard-Politiker-mit-Fuß-in-der-Unterwelt-Typen, der die Hardy-Figur unter Druck setzt, damit dieser seinen Nachwuchs, der sich mit den Falschen angelegt hat, aus der Scheiße holt.
Hilfe gibt es dann von der Polizistin Ellie, die stark von Jessie Mei Li (Shadow and Bone) gespielt wird und als großer Gegenspieler darf Timothy Olyphant (Once upon a time in Hollywood) mal wieder die zwielichtige Version seiner Raylan-Givens-Figur aus Justified aus der Mottenkiste kramen: immer ein Grinsen auf den Lippen, aber doch hinterlistig und auf der falschen Seite des Gesetzes unterwegs. On Top gibt es mindestens eine Handvoll von Henchmen und Prügelknaben, damit es genug Kanonenfutter gibt, ohne das man den Film erst gar nicht mit Evans assoziieren würde.
Character Work aufs Rudimentäre reduziert
Es wäre nun schon sehr gewollt, allzu tief in die darstellerischen Leistungen einzusteigen, denn sind wir mal ehrlich, für tiefgehende Charakterarbeit, Sorkin-eske Dialoge oder oscarwürdig emotionale Performances schaltet mit Garantie niemand Havoc ein. Es sei vielleicht lediglich erwähnt, dass Hardy hier eine atemberaubende Präsenz hat und man ihm vor allem die Wucht in den Kämpfen zu einhundert Prozent abnimmt. Im direkten Vergleich mit Venom: The Last Dance scheint der Brite auch wesentlich besser in Form gewesen zu sein, was einem nochmals vor Augen führt, wie lange die Dreharbeiten nun tatsächlich schon her sein müssen.
Von Olyphant und Whitaker bekommt man auch genau das, was man von ihnen erwartet – nicht mehr, nicht weniger. Einige der jüngeren, unbekannteren Darstellenden empfehlen sich zudem durch kurze prägnante Szenen für Größeres und Jessie Mei Li ist als ungleiche Partnerin-in-Crime von Hardy ein absoluter Gewinn für die Charakterdynamik innerhalb des Actionthrillers.
Action: Meckern auf höchsten Niveau
Kommen wir nun also zu dem, was den Namen Gareth Evans erst auf den Radar gebracht hat, nämlich seine Art und Weise Action in Szene zu setzen: ultrabrutal, zum Knochenzerbersten hart, laut und bleihaltig. Im Grunde genommen liefert Havoc in einigen wieder exzellent choreografierten und zum Zungeschnalzen fotografierten Szenen genau die Schlachtplatte, die die Fans bestellt haben. Es wird geballert als gäbe es kein Morgen, alles nur erdenklich Mögliche wird zur Hieb- und Stoßwaffe umfunktioniert und wenn keine Instrumente zugegen sind, dann kann man auch vorzüglich nur mit den eigenen Händen töten. Das alles macht vor allem im Schlussdrittel wahnsinnig viel Spaß, wenngleich es natürlich die stumpfeste Form der Unterhaltung ist, die man sich vorstellen kann. Aber manchmal reicht das eben.
Was hingegen in Havoc schon teils etwas überstrapaziert wird, ist die wacklige Kameraarbeit, die offenkundig ein Gefühl des Mittendrin Dabeiseins vermitteln soll und entsprechend an eine First-Person-Egoshooter-Perspektive erinnert, aber in einigen Momenten schon eher ein Gefühl der Übelkeit oder Orientierungslosigkeit bedingt. Man hat den Eindruck, dass in The Raid noch etwas mehr Übersicht gegeben war und die Filme auch deswegen so virtuos waren. Hier hingegen könnte man fast schon unterstellen, durch die Unruhe bestimmte Dinge kaschieren zu wollen, die eventuell stunt-technisch nicht „clean“ umzusetzen waren. Aber auch daran gewöhnt man sich im Verlauf der etwa 90 Minuten.
Gut, aber nicht herausragend
Überraschungen hingegen gibt es kaum und auch DER eine WTF-Moment, wie beispielsweise der Aschenbecher in Gangs of London, fehlt. An lautstarken Ballereien fehlt es wiederum nicht. Man hat den Eindruck, dass man sämtliche Schüsse nochmals lauter hochgepegelt hat, was insbesondere mit entsprechendem Bass im Lautsprechersystem bestimmt ordentlich das Glas in der Wohnzimmervitrine zum Zittern bringen wird. Und auch an Filmblut wird nicht gespart, wenngleich hier einiges aufgrund der Tatsache, dass der ganze Streifen nachts spielt, etwas im Dunkeln absäuft.
Insgesamt erinnert der Einsatz von Neonlicht und die Wahl der Nachtlokale als Handlungsorte immer wieder an Evans Kollegen Nicolas Winding Refn, der bekanntlich auch kein Regisseur der zimperlichen Sorte ist. Auch John Woo Fans werden sich bei der ein oder anderen Szene an Altbekanntes zurückerinnern, denn im Gegensatz zu The Raid und auch Gangs of London fühlt sich Havoc deutlich mehr wie eine Hommage Evans an seine augenscheinlichen Vorbilder an. Und damit ist der Thriller am Ende leider auch etwas beliebiger geworden, als man es sich erhoffen durfte. Mehr wie ein aktueller Actionkracher aus Korea oder Hongkong mit Hollywoodbesetzung als ein „The Raid 3“, mehr ein Netflix-Safe-Play als ein Projekt, dem noch der Independent-Charme anhaftet.

© Netflix
Unser Fazit zu Havoc
Havoc ist abartig brutal und zeigt das auch in expliziten Szenen, die durch Mark und Bein gehen. Selten hatten Schusswaffen so eine Wucht und für Netflix-Verhältnisse lotet Gareth Evans wohl auch sämtliche Grenzen des Zeigbaren aus. Doch das gewisse Etwas hat der Waliser hier nicht mit zum Streamingdienst rüberretten können, obgleich er mit Tom Hardy einen absolut würdigen Protagonisten an Bord hat. Leider ist nämlich die Story ziemlich abgedroschen, vorhersehbar und ein Großteil der Figuren ziemlich egal. Spaß haben also diejenigen, die für die stumpfe Form der Unterhaltung zu begeistern sind. Der Rest bekommt allenfalls Tinnitus vom Lärm und Übelkeit vom pausenlosen Gewackel der Kamera.
Havoc startet am 25. April 2025 bei Netflix
Daheim in Oberfranken und in nahezu allen Film- und Serienfranchises, schaut Jan mehr als noch als gesund bezeichnet werden kann. Gäbe es nicht schon den Begriff Serienjunkie, er hätte bei über 200 Staffeln im Jahr für ihn erfunden werden müssen. Doch nicht nur das reine Konsumieren macht ihm Spaß, das Schreiben und Sprechen über das Gesehene ist mindestens eine genauso große Passion. Und so ist er inzwischen knapp fünf Jahre bei Filmtoast an Bord und darf hier seine Sucht, ähm Leidenschaft, ausleben. Die wird insbesondere von hochwertigen HBO- und Apple-Serien immer wieder aufs Neue angefacht und jeder Kinobesuch hält die Flamme am Lodern. Es fällt Jan, wie ihr euch bestimmt wegen der Masse an Geschautem vorstellen könnt, schwer, Lieblingsfilme, -serien oder auch nur Genres einzugrenzen. Er ist und bleibt offen für alles, von A wie Anime bis Z wie Zack Snyder.