Jan-Ole Gerster schuf 2012 mit Oh Boy einen modernen Klassiker des deutschen Kinos. Mit seinem dritten Spielfilm Islands verlässt er nun die Hauptstadt und begibt sich ins Urlaubsparadies Fuerteventura. Gelingt ihm nach sechsjähriger Schaffenspause der nächste große Wurf?
Darum geht’s in Islands
Tom (Sam Riley) arbeitet als Tennistrainer in einem All-Inclusive-Hotel auf Fuerteventura. Was auf den ersten Blick wie der Traum vom endlosen Sommer wirkt, ist für den ehemaligen Profi längst monotone Routine geworden. Während die Touristen in einem nicht endenden Strom kommen und gehen, spielt er Woche für Woche hunderte Bälle übers Netz und füllt die Leere mit flüchtigen Affären und Alkohol. Doch dann taucht die geheimnisvolle Anne (Stacy Martin) im Hotel auf. Sie, ihr Mann Dave (Jack Farthing) und ihr siebenjähriger Sohn Anton (Dylan Torrell) entsprechen nicht dem Bild der üblichen Pauschaltouristen. Schnell kommt Tom der Familie näher: Er gibt Anton Tennisstunden und lädt sie zu einem Ausflug ein, um ihnen die raue Schönheit der Insel zu zeigen. Am nächsten Tag ist Dave spurlos verschwunden. Ebenso mysteriös wie Daves Verschwinden ist Annes Verhalten, das Tom vor Rätsel stellt. Ein Verdacht keimt in ihm auf..
Das Verlassen der Komfortzone
Sowohl in Oh Boy als auch in Lara platziert Gerster seine Figuren mitten in der Kulturszene Berlins. Er erzählt nicht nur Geschichten vom Scheitern und ungenutztem Potenzial seiner Protagonist:innen. Vielmehr entwirft er Porträts vom Leben und Überleben in der Hauptstadt. Für kreative Menschen in Deutschland ist Berlin ein Sehnsuchtsort, vergleichbar mit dem, was New York einst für das Theater oder Paris für die Literatur bedeutete. Man verlässt die heimische Idylle des Familienhauses, nur um sich der ernüchternden Realität einer kühlen, anonymen Metropole zu stellen. In dieser Stadt verlieren die Figuren nicht nur sich selbst, sondern werden von ihr zermalmt und wieder ausgespuckt. Diese Mischung aus Unzufriedenheit und dem Drang, einen Ausweg aus der Misere zu finden, bildet eines der Herzstücke von Gersters bisherigen Erzählungen.

Mit seinem neuesten Werk Islands verlegt Gerster die Handlung an ein beliebtes Urlaubsziel deutscher Tourist:innen: Fuerteventura. Doch diesmal ist es kein Ort, an dem man hingeht, um „jemand zu werden“. Vielmehr reisen Menschen in den Urlaub, um sich selbst zu vergessen, dem Alltag zu entfliehen, um für eine kurze Zeit jemand anderes zu sein als der, der sie sonst sind. Fuerteventura wird dabei nicht zum Sehnsuchtsort, sondern zur Flucht nach vorn. Gerster untersucht die Beweggründe seiner Figuren: Warum verlässt man die Heimat, um an einem fremden Ort zu landen, nur um die eigenen Probleme dorthin mitzunehmen – in der Hoffnung, sie zu verarbeiten, oder auch nicht.
Tom & Anne: Eine mysteriöse Verbindung
Und genau hier setzt Gersters neuer Protagonist an: Tom ist einer jener Menschen, denen man nachsagt, sie hätten es in ihrer Disziplin weit gebracht. Er hätte Tennisprofi werden können. In Sam Rileys (Das finstere Tal) Gesicht spiegelt sich bei jeder Konversation über Tennis eine Mischung aus Frustration und Enttäuschung über sich selbst. Seine Flucht nach Fuerteventura wirkt wie eine endlose Spirale, aus der er offenbar nicht mehr herausfindet. Er lebt in einer Routine der Selbstsabotage, unfähig, sich selbst zu überwinden. Bis zu dem Tag, an dem er Anne und Dave begegnet.
Mit dem Auftreten des jungen Paares ändert sich die Stimmung schlagartig. Anne und Dave befinden sich selbst an einem Punkt ihrer Beziehung, an dem die Sackgasse unausweichlich erscheint. Sie sind früh Eltern geworden – ein Ereignis, das weder geplant noch wirklich gewollt wirkte. Diese Tatsache erzeugt eine spürbare Aura der Reue und des Zurücksehnens nach vergangenen Tagen, zumindest in Daves Fall.
Anne wirkt nach Daves Verschwinden erleichtert, und in gewisser Weise kaum überrascht über das Geschehene. Gerster entscheidet sich, Anne nicht als trauernde Mutter zu inszenieren, sondern als geheimnisvoll aufgeladene Femme Fatale, die sichtlich Gefallen daran findet, seinen Protagonisten zu manipulieren.

Es entsteht der Eindruck, als hätten sich Tom und Anne bereits zuvor begegnet – und wie die Kamera ihre Gespräche einfängt – erscheint auch alles um sie herum vertraut. Wenn sie an den Stränden entlang streift und Tom mit ruhiger Intensität ansieht, wird spürbar: Um sie ranken sich Geheimnisse, eine fragile, mysteriöse Aura. Sie verwirrt nicht nur Tom, sondern auch das Publikum. Entscheidend sind dabei ihre Blicke und jene Momente, in denen nichts gesagt wird. Stacy Martin verleiht ihrer Figur mit einem minimalistischen Spiel große Melancholie, Sinnlichkeit und geheimnisvolle Tiefe.
© Leonine Studios
Unser Fazit zu Islands
Jan-Ole Gerster besticht in Islands mit einer einnehmenden Atmosphäre, mysteriösen Protagonist:innen, eindrucksvollen Schauwerten, exzellenten Spezialeffekten (Stichwort: Kamel) und einer herausragenden Bildkomposition, die das Publikum manipuliert, auf falsche Fährten lockt und viel zwischen den Zeilen – oder besser: zwischen den Räumen – erzählt. Entscheidend ist dabei das, was nicht ausgesprochen wird, und wie der Film versucht, mit gängigen Archetypen zu brechen.
Insgesamt geht diese Formel auf. Auch wenn sich gegen Ende vielleicht eine Wendung zu viel einschleicht und das Schlussbild mehr Fragen aufwirft als befriedigende Antworten bietet, wirkt Islands dennoch in sich stimmig, durchdacht und ist ein weiteres gelungenes Beispiel für die Ausdruckskraft deutscher Arthouse-Produktionen.
Islands könnt ihr ab dem 8. Mai 2025 in den deutschen Kinos entdecken!