Oh nein, es ist schon fünf vor zwölf! Wer wacht jetzt noch über die Wächter? Finden wir es heraus in der neuen Animationsverfilmung Watchmen: Kapitel 1 & Kapitel 2.
Die offizielle Inhaltsangabe von Watchmen
In einer alternativen Weltgeschichte, geprägt von Superhelden, wurden die einst gefeierten „kostümierten Abenteurer“ von einer durch Selbstjustiz desillusionierten Gesellschaft geächtet. Nun, 1985, erregt der Mord an Comedian, einem zum Helden gewordenen Regierungsbeamten, Rorschachs Aufmerksamkeit. Rorschachs Ermittlungen verwickeln seine pensionierten Kollegen Nite Owl, Silk Spectre, Dr. Manhattan und Ozymandias in ein Geheimnis, das ihr Leben und eine Welt am Rande des Krieges bedroht.
Die Richter der gesamten Welt
Watchmen ist eines der bedeutendsten literarischen Werke der Popkultur. Autor Alan Moore und Zeichner Dave Gibbons erschufen eine meisterhafte Dekonstruktion des Superheldengenres, indem sie die typischen Tropes aufgriffen und sie konsequent zu Ende dachten: Welche Auswirkungen haben Kindheitstraumata, ständige Gewalt, unbegrenzte Macht oder ein Leben in permanenter Maskierung auf den Einzelnen? Normalerweise verkörpern maskierte Vigilanten einen Gegenentwurf zu einem zerrütteten System. Die „Helden“ in Watchmen hingegen fügen sich in eine dem Untergang geweihte Welt ein. Sie sind gewalttätig, zynisch, nihilistisch und desillusioniert – Eigenschaften, die man sonst eher klassischen Schurken zuschreibt. Doch genau diese Wesenszüge verleihen ihnen ein Charisma, dem man sich nur schwer entziehen kann, denn nicht ohne Grund stehlen die Antagonisten häufig den strahlenden Helden die Show.
Sehet mein Werk, ihr Mächtigen
Es sind nicht nur die moralisch ambivalenten Figuren, sondern vor allem die unkonventionelle Erzählweise mit ihren Zeitsprüngen, vielschichtigen philosophischen Gedanken und kulturellen Anspielungen, die Watchmen seine Brillanz verleiht. Durch symbolträchtige Bilder und tiefgründige Dialoge erfolgt neben der Demontage eines Genres auch eine schonungslose Abrechnung mit dem amerikanischen Traum – eine Abrechnung, die aufgrund ihrer komplexen Struktur lange als unverfilmbar galt. Erst 20 Jahre später wagte sich Zack Snyder an eine Realverfilmung, die zwischen überbordendem Respekt vor dem Original und radikalen Änderungen pendelte. Diese Eingriffe waren nicht nur der medialen Übersetzung geschuldet, sondern sollten dem Stoff im 21. Jahrhundert neue Relevanz verschaffen. Auch wenn diese Modifikationen zu Diskussionen führten, fing seine Vision die Seele der Vorlage so gut ein, dass sich jede zukünftige Verfilmung nicht mehr ausschließlich an der Graphic Novel, sondern auch an Snyders Interpretation messen lassen muss.

Ängstliche Symmetrie?
Autor J. Michael Straczynski und die Regisseure Brandon Vietti und Vinton Heuck lassen Diskussionen gar nicht erst aufkommen. Ihre Version bleibt eng am Original und spart auch die Sex- und Gewaltszenen nicht aus; die wenigen Änderungen ergeben sich allein aus der begrenzten Laufzeit von rund drei Stunden. Aktuelle politische Ereignisse verleihen dem Stoff zudem neue Brisanz, sodass er weiterhin als präziser Kommentar auf gesellschaftliche Entwicklungen funktioniert – Aktualisierungen wie in Snyders Version erübrigen sich dadurch. Da es sich hier um einen Animationsfilm handelt, lassen sich die Bilder deutlich exakter ans Original anpassen: Kostüme, Handlungsorte und Figuren wurden fast eins zu eins übernommen. Die Bildästhetik ist stimmig und passt sich der korrumpierten und düsteren Welt der Watchmen an. Lediglich die Bewegungsanimationen sind nicht immer auf der Höhe der Zeit und verweisen zu deutlich auf ihre CGI-Herkunft.
Eine bessere Welt?
Die Werktreue kommt auch der erzählerischen Stringenz zugute. Anders als die Realverfilmung verliert sich die Geschichte nicht in visuellen Exzessen, büßt dafür allerdings an Eigenständigkeit ein. Wichtige Hintergrundinformationen zur Welt und ihrer Figuren setzte Snyder kongenial mit filmischen Mitteln um – man denke nur an den ikonischen Vorspann, untermalt von Bob Dylans „The Times They Are A-Changin’“. Die animierte Version verlässt sich in diesem Bereich ausschließlich auf Voice-over. Das lenkt den Fokus zwar konsequent auf die Handlung, lässt jedoch jene narrative Raffinesse vermissen, die das literarische Vorbild so besonders macht. Trotz aller Detailtreue schafft es die Verfilmung dementsprechend nicht, die gesamte Essenz des Buches zu erfassen. Sie kann daher nur als Ergänzung dienen, aber niemals als Ersatz.
Unter der Maske
Ein weiterer Pluspunkt ist die herausragende Synchronarbeit. Neben Synchronlegende Troy Baker als Adrian Veidt leihen z.B. auch illustre Namen wie Katee Sackhoff (Battlestar Galactica) als Slik Spectre oder Titus Welliver (Bosch) als Rorschach den ikonischen Charakteren ihre Stimmen. Jede Figur ist treffend besetzt, Aussetzer sucht man vergeblich. Das gilt nicht nur für die Hauptrollen, auch die Nebenfiguren überzeugen auf ganzer Linie. Die Geschichte des ‚Black Freighters‘ – hier konsequenterweise nicht animiert, sondern mit den Originalbildern erzählt – wird z.B. von niemand Geringerem als Phil LaMarr (Futurama) gesprochen.
Zwei Reiter kamen näher…
Im Home-Entertainment-Bereich von DC Comics ist es gängige Praxis, längere Geschichten in zwei Teile zu splitten und separat zu vermarkten – so auch bei Watchmen: Kapitel 1 und Kapitel 2. Inhaltlich wirkt die Aufteilung erzwungen, da es sich hier um eine durchgehende Erzählung handelt und das erste Kapitels ohne klaren erzählerischen Abschluss endet. Aus wirtschaftlicher Sicht ist die Entscheidung nachvollziehbar: Animationsfilme mit längerer Laufzeit verursachen höhere Kosten und bringen bei gleichbleibenden Leihpreisen geringere Margen. Dennoch wäre es wünschenswert, wenn Paramount zumindest in der Kaufversion ein geschlossenes Seherlebnis anbieten würde – ohne abrupte Unterbrechung der Immersion.
© Paramount Pictures
Unser Fazit zu Watchmen: Kapitel 1 & Kapitel 2
Watchmen: Kapitel 1 & Kapitel 2 sind würdige Umsetzungen der Graphic Novel. Ganz wie der Charakter Rorschach gehen Drehbuch und Regie keinerlei Kompromisse in Sachen Werktreue ein, damit der Zorn eingefleischter Fans nicht wie ein einäugiges Tentakelmonster über sie hereinbricht. Die audiovisuelle Umsetzung kann zwar nicht mit Realverfilmung von 2009 mithalten und büßt an Eigenständigkeit ein, aber unterm Strich verwandelt das Gesamtergebnis den Gesichtsausdruck der Zuschauer:innen in das ikonische Symbol des Comedians – natürlich ganz ohne menschlichen Bohnensaft.
Watchmen: Kapitel 1 und Watchmen: Kapitel 2 sind seit dem 17. April 2025 separat digital erhältlich.
Stefan ist in der Nähe von Wolfenbüttel beheimatet, von Beruf Lehrer und arbeitet seit Mai 2024 bei Filmtoast mit. Seit seiner Kindheit ist er in Filme vernarrt. Seine Eltern haben ihn dankenswerterweise an Comics und Disneyfilme herangeführt. Bis zu seinem 8. Lebensjahr war es für ihn nicht nachvollziehbar, wie man Realfilme schauen kann. Aber nach der Sichtung des Films Police Academy und natürlich der Star Wars- Filme hat sich das geändert. Natürlich waren in seiner Kindheit auch die Supernasen, die Otto- und Didifilme Pflichtprogramm, denn worüber sollte man sonst mit den Anderen reden? Deswegen mag er einige dieser Filme bis heute und schämt sich nicht dafür.
Stefan setzt sich für die Erhaltung der Filmwirtschaft ein. Sei es durch Kinobesuche, DVD/ Blu- Ray/ UHD oder Streaming, je nach dem welches Medium ihm geeignet erscheint. Sein filmisches Spektrum und seine Filmsammlung hat sich dadurch in den letzten 30 Jahren deutlich erweitert, weswegen er sich nicht auf ein Lieblingsgenre festlegen kann.