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    Dispatches from Elsewhere

    Jan Wernervon Jan Werner17. Mai 2020Keine Kommentare7 min Lesezeit
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    Fredwynn liegt mit offenen Augen auf dem Boden
    Fredwynn (André Benjamin) © 2020 Amazon.com Inc., or its affiliates
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    In Dispatches from Elsewhere übernimmt Jason Segel nicht nur die Hauptrolle, sondern auch die zugrundeliegende Idee. Ob er in der neuen, Amazon-Mystery-Serie genauso unterhalten kann wie als Marshall Erikssen in How I Met Your Mother, erfahrt ihr in dieser Ausgabe 10 Reasons Why (Not)!

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    Erzähler Octavio sitzt in einem Sessel vor einer orangen Wand und schnippt mit dem Finger der erhobenen linken Hand in Dispatches from Elsewhere
    Wenn der Erzähler Octavio (Richard E. Grant) mit dem Finger schnippt, beginnt die nächste Folge © 2020 Amazon.com Inc., or its affiliates

    Worum geht es in Dispatches from Elsewhere?

    Stellen Sie sich vor, sie wären Peter…

    Peter (Jason Segel) ist ein ganz gewöhnlicher Mann mittleren Alters mit einem Bürojob, der ihn jedoch wenig erfüllt. Irgendwie sehnt er sich nach mehr. Was das genau ist, kann er nicht sagen. So, wie ihm, geht es auch Janice (Sally Fields), Fredwynn (André Benjamin) und Simone (Eve Lindley). Durch Schicksal, Zufall oder einen größeren Plan treffen die vier zusammen und werden in ein rätselhaftes Spiel verstrickt. Zusammen kommen sie immer weiter Geheimnissen auf die Spur und beginnen am Sinn dieses Spiels zu zweifeln. Wer steckt hinter der mysteriösen Anderswo-Gesellschaft, wem kann man vertrauen, was ist real und was nur Illusion?

    Peter geht erstaunt über das Marmor-Parkett einer leeren Eingangshalle in Dispatches from Elsewhere
    In der Eingangshalle beginnt das Spiel für Peter (Jason Segel) © 2020 Amazon.com Inc., or its affiliates

    10 Reasons Why (not)

    (In unserem Kritikformat werden wir die Argumente, die für oder gegen einen Serienmarathon sprechen ohne große Spoiler auf 10 Punkte kompakt bündeln. Abschließend gibt es eine Pro-Kontra-Gegenüberstellung mit einem kurzen Fazit. Dabei geht es uns nicht um eine folgenweise Analyse, sondern darum, auf gute Serien Appetit zu machen und vor schlechten Serien zu warnen, um für etwas Überblick im Serien-Dschungel zu sorgen.)

    1. Eine Serie zum Miträtseln

    So wie die vier Protagonisten nicht sicher sein können, welches Spiel mit ihnen gespielt wird, so geht es auch den Zuschauern. Gemeinsam mit den Rätselfreunden geht man auf die wendungsreiche Schnitzeljagd durch Philadelphia. Dabei entwickelt man schnell einen gewissen Ehrgeiz, selbst versteckte Details zu entdecken und Codes zu entschlüsseln. Dispatches from Elsewhere ist endlich mal wieder eine Serie zum aktiven Miträtseln.

    Simone steht glücklich im Mittelpunkt einer bunt gemischten Gruppe applaudierender Demonstranten in Dispatches from Elsewhere
    Simone (Eve Lindley) freut sich über die Unterstützung der Menge © 2020 Amazon.com Inc., or its affiliates

    2. Dispatches from Elsewhere bietet zahlreiche optische Finessen

    Genauso verspielt wie die Prämisse der Serie ist auch die Optik konzipiert. Splitscreens, Comicsequenzen oder die Visualisierung von Gedankenprozessen sind dafür nur einige Beispiele, die von der großen Kreativität der Macher zeugen. Dabei wirkt das Ganze nicht überfrachtet durch zu viele Spielereien, sondern stimmig dem Inhalt angemessen.

    3. Die Musik macht gute Laune

    Neben der Optik ist in Dispatches from Elsewhere auch die Musik sehr stark mit dem Inhalt verzahnt. Während der Score vermehrt auf Synthesizerklänge setzt, ist die Liederauswahl eine gute Mischung aus modernem Indiepop und dem ein oder anderen Evergreen. Bestes Beispiel ist „Good Vibrations“ von den Beach Boys. Die Szene, in der dieser Song verwendet wird, hat eine lebensbejahende, positive Botschaft, und wohl kaum ein Lied könnte für diesen Zweck besser geeignet sein.

    4. Dispatches from Elsewhere ist voll Popkultur

    Zur Musik kommt auch noch ein bunter Blumenstrauß weiterer Popkulturreferenzen. Auch diese kleinen Details in der Serie laden den Zuschauer zu einer Art Eiersuche ein. Manch eine Anspielung ist offensichtlich, andere eher unscheinbar, aber alles hat Sinn und Verstand.

    5. Die Kameraarbeit ist herausragend

    Technisch spielt Dispatches from Elsewhere genauso in der ersten Liga. Einige Kamerafahrten sind sensationell und sind ein Beweis für intensive Vorbereitung und dem großen Know How der Filmcrew. Zusätzlich sind auch die Wahl bestimmter Bildausschnitte, die Platzierung von Zooms und Nahaufnahmen, um Szenen bewusst zu akzentuieren oder auch Tipps für den Zuschauer zu geben.

    Janice steht in einer nächtlichen Seitenstraße auf Kopfsteinpflaster, sie lächelt zufrieden und hält einen Briefumschlag in der Hand in Dispatches from Elsewhere
    Janice (Sally Fields) ist zwar die Älteste im Team, aber doch voller Energie © 2020 Amazon.com Inc., or its affiliates

    6. Die Protagonisten sind sehr interessante Persönlichkeiten

    Neben diesen schon überzeugenden Argumenten, spricht dann noch die extrem ausgefeilte Charakterisierung der vier Figuren, die im Mittelpunkt von Dispatches from Elsewhere stehen, für die Serie. Dies wird dann nochmal ganz bewusst dadurch verstärkt, dass man jede Episode inhaltlich einer der Hauptfiguren widmet. Das i-Tüpfelchen zur Identifikation mit ihnen ist jedoch, die Art und Weise, wie der Erzähler (Richard E. Grant) jeweils zu Beginn der Folgen die Gefühlswelt von Peter und Co. offenlegt. Dadurch lernt man extrem viel über die Geschichten der Mitspieler und kann dadurch deren Handeln erst richtig beurteilen.

    Peter ist zwar der augenscheinliche Hauptcharakter, doch auch Simone, Freddwynn und Janice werden wahnsinnig tief gezeichnet und wachsen einem innerhalb kürzester Zeit ans Herz. Jede Figur hat einen seelischen Ballast zu tragen, aus dem heraus sich die Motivation zur Teilnahme an dieser Form von Experiment ergibt. Aber jede Figur hat auch eine Vergangenheit, die erklärt, weshalb sie genau die Fähigkeit mitbringt, die in der Kombination mit den anderen ein harmonierendes Team hervorbringt.

    Was man dieser Drama-Serie hoch anrechnen muss, ist der Umgang mit der Transsexualität von Simone, die nahezu als Selbstverständlichkeit eingeführt wird und doch im Laufe der zehn Folgen nochmal thematisiert wird, um der Realität gerecht zu werden. Denn ganz so gleichgestellt, wie man es sich wünschen würde, sieht es nunmal heute noch nicht aus. Die Botschaft zur Akzeptanz und Toleranz ist sehr gut eingewoben, ohne belehrend zu wirken.

    7. Dispatches from Elsewhere neigt teilweise zum Kitsch

    Tonal wechseln sich eher humoristischen Situationen mit melancholischen Szenen ab. Diese Balance gelingt über weite Strecken sehr gut. Ab und zu muss man jedoch schon ein gewisses Faible für leichten Kitsch mitbringen. Speziell romantisch gedachte Handlungsstränge geraten zuckersüß und märchenhaft. Wer mit klassischen Liebeskomödienklischees ein Problem hat, wird womöglich an mancher Stelle die Augen verdrehen.

    Der in einem pfahlen blauen Anzug gekleidete Afro-Amerikaner Fredwynn steht nachts in einer Menschentraube und versucht mittles eines erhobenen Schildchens auf sich aufmerksam zu machen
    Fredwynn (André Benjamin) ist ein genialer Mitspieler © 2020 Amazon.com Inc., or its affiliates

    8. Nicht nur doppel- sondern triplebödig

    Das Spiel als solches erinnert dann teilweise schon an The Game von David Fincher. Ähnlich, wie in diesem Psychothriller, kann man sich auch bei Dispatches from Elsewhere nie sicher sein, ob etwas tatsächlich eine eigene Entscheidung ist, oder von den Spielleitern beabsichtigtes Verhalten. Und dadurch, dass die vier Teammitglieder gänzlich andere Interpretationen und Theorien in den Raum werfen, weiß man als Zuschauer schnell auch nicht mehr, wem man trauen kann. Es bleibt stets unklar, wer hier mit wem seine Spielchen treibt.

    9. Philosophie und Gesellschaftskritik

    Die Fragen, denen sich die vier Protagonisten während der Suche nach Hinweisen und Lösungen stellen müssen, münden nicht selten in philosophischen Themen. Man sollte schon ein Interesse mitbringen, sich ebenfalls mit weitreichenden, relevanten Fragestellungen auseinander setzen zu wollen. Eine Serie für die seichte Unterhaltung ist Dispatches from Elsewhere definitiv nicht. Auch mit pointierter Gesellschaftskritik punktet das Werk von Jason Segel. So wird exemplarisch übertriebener Medienkonsum und die ständige Rastlosigkeit vieler Menschen kritisch thematisiert.

    !!! Achtung Spoiler!!! Der letzte Punkt bezieht sich auf die letzte Folge. Wer gänzlich ohne Vorwissen sich auch von der  Finalepisode überraschen lassen will, sollte diesen Abschnitt überspringen. Auf die genaue Wendung wird jedoch nicht eingegangen!

    10. Dispatches from Elsewhere ist zutiefst persönlich

    Die letzte Folge ist ein herausragendes Stück Fernsehgeschichte, denn hier wird eine weitere Ebene aufgemacht. Dabei wird deutlich, dass Jason Segel extrem viel Privates in sein Herzensprojekt gepackt hat. Sein Umgang mit seinem intimen Seelenzustand ist bemerkenswert, macht nachdenklich und ist gleichzeitig wirklich vorbildhaft. Den Mut so offen bestimmte Probleme, die mit Sicherheit viele Prominente, aber auch „Normalos“ haben, auszusprechen, ist ein Appell an alle, die diesen Mut noch nicht aufbringen können. Das Ende der Serie ist mutig, anders und wird dadurch sinnbildlich für dieses Projekt im medialen Gedächtnis bleiben.

    Pro: 9 Kontra: 1

    Unser Fazit zu Dispatches from Elsewhere

    Jason Segel liefert eine Serie ab, die ihn ein für alle mal von seiner Rolle in How I Met Your Mother emanzipieren wird. Und das nicht, weil sein Charakter sich so sehr von Marshall unterscheidet, sondern weil er mit Dispatches from Elsewhere als Macher einer Dramedy-Serie an vielen Stellen Mut beweist. Sei es der Mut zu experimentellen Erzählweisen, oder sei es der Mut offen mit Problemen umzugehen.

    Dabei ist jedoch das Kunststück gelungen, dass in der Amazon-Serie keineswegs der Seelenstriptease zum Selbstzweck oder zur plakativen Gesellschaftssatire verkommen ist. Im Zentrum steht erstmal eine Rätselgeschichte, im Laufe derer alle Teilnehmer gewisse Metamorphosen durchmachen und sich gegenseitig erst wirklich kennenlernen.

    Dispatches from Elsewhere ist eine große Empfehlung, in gewisser Weise aber auch ein Experiment, auf das man sich bewusst einlassen muss.

    Die Serie kann seit dem 8. Mai 2020 komplett bei Amazon Prime Video gestreamt werden.


    © 2020 Amazon.com Inc., or its affiliates

    Jan Werner

    Daheim in Oberfranken und in nahezu allen Film- und Serienfranchises, schaut Jan mehr als noch als gesund bezeichnet werden kann. Gäbe es nicht schon den Begriff Serienjunkie, er hätte bei über 200 Staffeln im Jahr für ihn erfunden werden müssen. Doch nicht nur das reine Konsumieren macht ihm Spaß, das Schreiben und Sprechen über das Gesehene ist mindestens eine genauso große Passion. Und so ist er inzwischen knapp fünf Jahre bei Filmtoast an Bord und darf hier seine Sucht, ähm Leidenschaft, ausleben. Die wird insbesondere von hochwertigen HBO- und Apple-Serien immer wieder aufs Neue angefacht und jeder Kinobesuch hält die Flamme am Lodern. Es fällt Jan, wie ihr euch bestimmt wegen der Masse an Geschautem vorstellen könnt, schwer, Lieblingsfilme, -serien oder auch nur Genres einzugrenzen. Er ist und bleibt offen für alles, von A wie Anime bis Z wie Zack Snyder.

    • Jan Werner
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