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The Zone of Interest

Endlich startet der heißerwartete Cannes-Erfolg The Zone of Interest in den deutschen Kinos. Jonathan Glazers Holocaust-Drama ist ein absoluter Kritiker:innen-Liebling und konnte diverse Preise für sich verbuchen. Ob er seinem Ruf alle Ehre macht, erfahrt ihr in unserer Kritik!

THE ZONE OF INTEREST Trailer German Deutsch (2024) @FilmtoastDE

TitelThe Zone of Interest
Jahr2023
LandUSA, Großbritannien, Polen
RegieJonathan Glazer
DrehbuchJonathan Glazer
GenreDrama, Historienfilm, Kriegsfilm
DarstellerChristian Friedel, Sandra Hüller, Johann Karthaus
Länge105 Minuten
FSKab 12 Jahren freigegeben
VerleihLeonine
Das Cover von The Zone of Interest © Leonine

Die Handlung von The Zone of Interest

Angrenzend an das Konzentrationslager Auschwitz liegt das Haus des Obersturmbannführers Rudolf Höß (Christian Friedel). Dort lebt dieser mit seiner Frau Hedwig (Sandra Hüller) sowie den Kindern, ihrem Hund und einigen Bediensteten. Außer der Grenze, gleichzeitig Gefängnismauer und Sichtschutz, liegt nichts zwischen der scheinbaren Idylle und dem unaussprechlichen Leid im Lager. Doch das Ehepaar Höß stört sich weder an den Schreien noch am schrecklichen Verbrennungsgeruch. Erst als Rudolf aus dem trauten Heim der Familie abkommandiert werden soll, sieht Hedwig ihr gewohntes Leben in Gefahr.

Asche auf den Pflanzen

Den Holocaust filmisch zu verarbeiten, ohne sich dabei zwangsweise am Leid der Opfer zu bedienen, stellt eine unbeschreibliche Herausforderung dar. Selbst Regie-Legende Steven Spielberg musste sich für seinen weithin als Meisterwerk geltendes Schindlers Liste Kritik anhören. Zu nah sei er an einem Unterhaltungsfilm, zu sehr schöpfe er aus dem realen Schrecken zugunsten von Spannungsbögen und Charaktermomenten. Der Grat zwischen Sichtbarmachen und Ausschlachtung einer realen Schandtat ist schmal; nicht wenige sind an ihm bereits gescheitert. Jonathan Glazer wagt mit The Zone of Interest nun ein nie dagewesenes Experiment. In seinem vielfach prämierten Neuling steht nicht die Resilienz der Überlebenden im Zentrum. Auch die Verursacher:innen – filmisch bereits in Werken wie etwa Der Untergang verarbeitet – finden hier jedoch keinen Platz. Vielmehr blickt der Regisseur auf die Kräfte, die die Maschinerie am Leben gehalten haben: die Zahnräder.

Eines der stärksten Bilder in The Zone of Interest ist eine Einstellung des Beets, das sich direkt an der KZ-Mauer befindet. Dieses Beet ist ein Teil des Gemüsegartens, Hedwigs ganzen Stolzes. Wir sehen, wie Asche auf den Gewächsen ausgebracht wird. Woher diese stammt, wird nicht gezeigt – dies ist allerdings auch nicht nötig. Diese wenigen Sekunden entpuppen sich als das wichtigste Motiv und sind der Schlüssel zum Verständnis des Films. Denn Rudolf und Hedwig treibt nicht der Wahnsinn an, nicht der Hass auf die Opfer, sondern der Wunsch nach Luxus. Ihr Ziel sind lediglich die Stabilität und die Idylle, die der Holocaust in ihr Leben spült. Die Hausherrin hat nur so lange ein Interesse an der Vernichtung des jüdischen Volks, wie diese die Asche regnen lässt, die ihre Pflanzen düngt.

Die Asche aus dem KZ wird in den Garten gekarrt. © Leonine

Luxus ohne Moral

Auf diese Weise beobachten wir die Familie Höß durch überwachungsartige Kameraeinstellungen, die sie aus den Wänden anstarren, bei der Gewährleistung ihres opulenten Daseins. So emotional distanziert die Fotografie zunächst wirken mag, so sehr macht sie uns selbst zu stummen Beobachter:innen, zu Teilhaber:innen am Leben mit dem Unvorstellbaren. Bald blenden auch für das Publikum die herzzerreißenden Soundkulissen in bloße Hintergrundgeräusche über. The Zone of Interest wird zu mehr als einer Analyse des Bösen im Holocaust. Er blickt auf die inhärente Unmoral hinter dem Wunsch nach Luxus in einem kapitalistischen System, in dem der Profit des einen untrennbar verbunden ist mit dem Leid des anderen. Jonathan Glazer erlaubt den Zuschauer:innen nicht die moralische Überlegenheit über die Nationalsozialist:innen, kein „Dass damals niemand etwas unternommen hat“-Getuschel beim Verlassen des Kinosaals. Er setzt sie mit ihnen gleich.

Der Bildschirm unseres Handys ist eine Trennscheibe, deutlich dünner als die Auschwitz-Mauer, die uns vom Leid in der Welt abgrenzt, das auch wir mitzuverantworten haben. Hedwig Höß ignoriert die Schreie und Schüsse, die aus dem KZ herüberschwappen, mit der Gleichgültigkeit eines Wischens durch TikTok-Reels. Das Hundegebell jenseits der Grenze des Anwesens erinnert an sterbende Tiere, die auf denjenigen Brötchen landen, welche wir tagtäglich verspeisen. The Zone of Interest ist ein Film über Flüchtende, die auf dem Meer ertrinken, damit Europäer:innen ihr Privileg nicht hinterfragen müssen. Ebenso über Kinderarbeiter:innen, die die Kleider und Anzüge für die Oscar-Verleihung nähen, bei der Glazers Werk fünffach nominiert ist. Eine derartig verdammende Sezierung des eigenen Publikums ist so selten wie mutig; auch sich selbst hält der Regisseur nicht aus der Schusslinie heraus.

Rudolf ist einer der wichtigsten Männer im Dritten Reich. © Leonine

Die Geschichte jenseits der Mauer

All diese Ideen kommuniziert der Film über eine sichere und gewählte Bildsprache, die sich nachdrücklich ins Gedächtnis brennt. Bewusst hat sich Glazer gegen eine hochgradige Stilisierung entschieden. Nahaufnahmen in Gesichter der Akteur:innen gibt es kaum. Bei ihrer Bewegung durch die eindringlich konstruierten Sets existiert Bildgestalter Łukasz Żal für sie überhaupt nicht. Nur in wenigen Einstellungen verlässt die Kamera ihre statische Position, und auch dann wechselt sie lediglich in sterile Schienenaufnahmen über. Aus den gräulichen kontrastarmen Farben sticht nicht einmal Hedwigs Gemüsegarten leuchtend hervor, so als lägen die Schatten des Kriegsverbrechens über ihm. Lediglich die Nachtaufnahmen wechseln die Perspektive und kehren die Welt des Films buchstäblich um. Zusammengehalten werden jene Bilder durch eine hochkalkulierte Montagetechnik, welche im Finale in einem einzelnen denkwürdigen Schnitt mündet. Hier schlägt The Zone of Interest endgültig die Brücke in die Gegenwart und endet mit einem Magenhieb, der diverse anregende Konversationen füttern dürfte.

Eine ebenso zentrale Rolle spielt natürlich die Klangkulisse, eindrucksvoll zusammengestellt von Sounddesigner Johnny Burn. Die Geschichte, die sich jenseits der Mauer abspielt, bleibt stets präsent, ohne je das Steuer zu übernehmen. Bei der Kompilierung der Töne hat sich Burn an reale Situationen angelehnt, die aus den Lagern überliefert wurden. Spätestens wenn wir im Klangteppich das Geschrei spielender Kinder im Höß-Garten nicht mehr von dem Geschrei sterbender Kinder in Auschwitz unterscheiden können, zeigt die sorgfältige Audiogestaltung Wirkung. Zu dieser trägt auch die sparsam eingesetzte Musik von Mica Levi bei. Diese spielt nur an wenigen ausgewählten Stellen im Film, setzt sich jedoch in den Köpfen des Publikums fest und lässt nicht mehr los.

Die Kinder spielen nur wenige Meter vom KZ entfernt. © Leonine

Unser Fazit zu The Zone of Interest

Jonathan Glazer bewältigt das Problem der Sensationalisierung des Holocausts glänzend. Somit tritt sein Werk in die Fußstapfen von László Nemes‘ Son of Saul, Juraj Herz‘ Der Leichenverbrenner und weniger weiterer vergleichbarer Titel. Glazer geht jedoch noch einen Schritt weiter. The Zone of Interest legt die Anatomie eines Verbrechens frei, ohne das Verbrechen zur Schau zu stellen. Das Ergebnis ist haarsträubendes Erfahrungskino – quälende 105 Minuten, die zu keiner Sekunde unterhalten (sollen), aber das Publikum nie verlassen werden. Ein unvergesslicher Film, der das Blut umso stärker in den Adern gefrieren lässt, je länger die Sichtung zurückliegt.

The Zone of Interest erscheint am 29. Februar 2024 in den deutschen Kinos!

All unsere Kritiken und auch viele andere Videos findest du auch auf unserem YouTube-Kanal.

Unsere Wertung:

 

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Zuletzt aktualisiert am 11. November 2022 um 14:09 . Wir weisen darauf hin, dass sich hier angezeigte Preise inzwischen geändert haben können. Alle Angaben ohne Gewähr.

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