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Niamh Algar scheint in Trance, ist in bläuliches Licht getüncht und mit Blut besudelt - Censor

Censor

Der Horrorfilm Censor lief auf der Berlinale im Panorama-Programm und entführt uns in die Horrorfilm-Hysterie der 80er-Jahre. Ob dies genauso stimmungsvoll wie spannend ist, erfahrt ihr hier!

TitelCensor
Jahr2021
LandGroßbritannien
RegiePrano Bailey-Bond
DrehbuchPrano Bailey-Bond, Anthony Fletcher
GenreHorror, Thriller
DarstellerNiamh Algar, Clare Holman, Michael Smiley, Adrian Schiller, Felicity Montagu, Nicholas Burns
Länge84 Minuten
FSK
Verleih
Niamh Algar scheint in Trance, ist in bläuliches Licht getüncht und mit Blut besudelt - Censor
Die Zensorin Enid steigt hinab in ihre eigene Hölle © Silver Salt Films

Censor – Handlung

Im England der 80er-Jahre arbeitet Enid (Niamh Algar) als Zensorin bei der britischen Freigabestelle für Kino- und Videofilme. Sie gilt als strenge Verfechterin des Jugendschutzes und geht in ihrer Arbeit auf. Trotzdem muss sie sich auch mal liberalen Strömungen im Kollegium geschlagen geben. Als ihre Eltern ihr bei einem gemeinsamen Abendessen mitteilen, dass sie ihre Schwester, die schon seit Jahren vermisst wird, für Tod erklärt haben, reißt dies alte Wunden bei ihr auf. Sie wird fortan von Alpträumen aus ihrer Kindheit geplagt.

Kurz darauf macht die Presse den Film Deranged für einen grausamen Mord verantwortlich. Und irgendjemand hat einem Journalisten geflüstert, dass gerade Enid, in Zusammenarbeit mit ihrem liberalen Kollegen, den Film, wenn auch nur unter rigiden Schnittauflagen, freigegeben hat. Sie wird fortan von Kameras belagert und durch Drohanrufe terrorisiert. Schließlich glaubt sie, in dem neuen Film des umstrittenen Produzenten Frederick North den Alptraum ihrer Kindheit wiederzuerkennen. Enid ist nun von der fixen Idee besessen, dass sie ihre Schwester im Umfeld des schmierigen North suchen muss…

Vorweg ein kurzer Exkurs – „Video Nasties“

Der Film der Waliserin Prano Bailey-Bond nimmt uns mit auf eine Reise in die 80er-Jahre, die vor allem für Film-Freaks sehr interessant sein dürfte. Damals herrschte im Vereinigten Königreich (und im sogar noch größeren Maße in der Bundesrepublik Deutschland) ein öffentlicher Diskurs zum aufkeimenden Videoboom vor, der alsbald schon mehr hysterisch denn rational geführt wurde. Anlass war 1982 eine Anzeigen-Kampagne in Filmzeitschriften, mit der die Firma Vipco den Film The Driller Killer vermarktete. Die Anzeige zeigte das Cover des Titels, auf dem einem Mann in den Kopf gebohrt wird. Darauf wurde eine Kampagne von privaten Organisationen entfacht, die dafür den Begriff „Video Nasty“ prägte. Das wurde von den Medien, allen voran den Tageszeitungen, natürlich nur allzu gerne aufgegriffen.

In der Folge zogen die englischen Gerichte gegen alles zu Felde, was man sich durch einen alten Paragrafen gegen Obszönität aus dem Verkehr zu ziehen erhoffte. Im Jahre 1983 erschien die Liste dieser sogenannten „Video Nasties“, es waren 72 Titel, von denen allerdings nur 39 abgeurteilt wurden. Bei weiteren 82 Titeln wurden die Verleiher von Polizei und Staatsanwaltschaft quasi genötigt, diese Filme freiwillig nicht zu veröffentlichen oder vom Markt zu nehmen. Schon 1984 kam es dann zu einer Gesetzesnovelle, die die ehemalige Zensurbehörde BBFC (British Board of Film Classification) mit der Sichtung und Freigabe von Videoveröffentlichungen betraute. Ein logischer Schritt, denn die Behörde war auch schon für die Freigabe von Kinofilmen zuständig.

Den im Film erwähnten Skandal um den Film Deranged, der übrigens auf der Geschichte des Serienkiller Ed Gein beruht, gab es in Wirklichkeit nicht. Dies ist als Kniff des Drehbuchs zu sehen, die Dramaturgie, die nicht nur in diese Zeit eingebettet ist, sondern geradezu von ihr zehrt, anzufeuern. Nur nebenbei, genannter Film ist mittlerweile ungeschnitten im UK wie auch in Deutschland, hier sogar freigegeben ab 16 Jahren, erhältlich.

Die Schuld für Gewalt wird in den Medien gesucht…

Der Film beginnt sehr stimmungsvoll, lässt uns in die Welt der Zensorin eintauchen. Garniert wird das mit Ausschnitten aus Filmen dieser Zeit, u.a. den bereits erwähnten The Driller Killer und auch weiterer „Video Nasties“ wie Frozen Scream und Nightmare in a Damaged Brain. Dabei dienen diese blutigen Szenen mehr der Illustration, denn in diesem Kontext bleibt eine allzu große Schockwirkung sicherlich aus. Diese Montage unterstreicht dennoch sehr gut die Hysterie dieser Tage, die in Bezug auf Horror-Videos herrschte. Selbst als die erste große Welle der Empörung nach 1984 abgeebbt war – und in dieser Zeit bewegt sich Censor – wurde das Thema immer wieder gerne in den Medien aufgegriffen.

Darüber hinaus verdichtet es auch den Arbeitsalltag Enids auf eine Ansammlung von Gewalt-Szenarien, denen sie quasi dauerhaft ausgesetzt ist. Das ist natürlich ein erzählerischer Kniff, denn die BBFC prüfte und prüft ja nicht nur Horrorfilme. Es verleiht dem Ganzen eine etwas verrucht wirkende Atmosphäre. Es ist ein Mikrokosmos, der von außen, also von der Presse und „besorgten Bürgern“, besonders kritisch beäugt wird.

Schon in den Diskussionen über Schnitte und Freigaben steht Enid auf der Arbeit häufig im Mittelpunkt. Sie verleiht den Bedenken christlicher Verbände und besorgter Eltern eine Stimme, besitzt in ihrem Anspruch, die Jugend des Landes mit ihrer Arbeit zu schützen, einen geradezu messianischen Eifer. Und doch wird sie oftmals von ihren Kollegen überstimmt, nimmt dies aber als gegebenen Teil des Entscheidungsprozesses hin. Als die Öffentlichkeit den Film Deranged, den sie mit einem eher liberalen Kollegen begutachtet und nach umfangreichen Schnitten freigegeben hatte, mit einem schrecklichen Doppelmord in Verbindung bringt, steht sie plötzlich als Schuldige dar. Nicht nur der Druck vom Chef nimmt zu, auch die Presse belagert ihr Büro und selbst nach Feierabend erreichen sie zu Hause Drohanrufe.

… doch die Ursachen stecken meist schon vorher tief in uns drin

Dabei steckt Enid sowieso schon in einer persönlichen Krise. Ihr Abstieg in die eigene Hölle hat schon lange vorher begonnen, als ihre Schwester als Kind verschwunden ist. Und sie glaubt, daran schuld zu sein, da sie sich an die Geschehnisse des entsprechenden Tages nicht mehr erinnern kann. Die Schuldgefühle sind ein Ballast, den sie zum Teil auch in ihrer Arbeit als Zensorin ablädt. Dann erklären ihre Eltern die verschwundene Schwester für Tod, möchten mit der Sache abschließen. Für Enid bricht damit eine Welt zusammen. Sie wird darauf von Alpträumen geplagt, die sich sogar auf ihren Tagesablauf auswirken. Als sie schließlich im neuen Film des ominösen Produzenten North ihre Schwester zu erspähen glaubt, ist sie fortan von der fixen Idee besessen, dass diese in die Fänge niederträchtiger Horrorfilmer geraten ist. Es folgt eine Odyssee in den Wahnsinn, in der sich Realität und Fiktion immer weiter vermischen.

Prano Bailey-Bond dividiert in Censor teils sehr anschaulich die Ursachen für den geistigen Verfall der Protagonistin auseinander. Sie reflektiert mit ihrer Geschichte nicht nur unseren gesellschaftlichen Umgang mit Gewalt und den öffentlichen Diskurs zur Schuldfindung, sondern bindet diesen Prozess als äußeren Umstand für die Entwicklung ihres Hauptcharakters mit ein. Der Druck der Öffentlichkeit ist einer der Faktoren, der sehr destruktiv auf die Psyche und das sowieso schon mindere Selbstwertgefühl Enids wirkt. Hatte sie ihren Schuldkomplex durch die Arbeit zuvor noch ein wenig kompensieren können, öffnet sich jetzt auch hier ein tiefes Loch. Und da sie gerade schon nach der Nachricht der Eltern am Taumeln ist, fällt sie in letzter Konsequenz auch hinein.

Regisseurin Prano Bailey-Bond beim Fotoshooting für Censor
Regisseurin Prano Bailey-Bond debütiert mit dem Horrorfilm Censor © Silver Salt Films

Erzählerisch gut, inszenatorisch ausbaufähig

Erzählerisch zeichnet das Drehbuch den Weg in die persönliche Hölle der Protagonistin, die sich, wenig überraschend, in Gewalt und Tod entlädt, also gut nachvollziehbar vor. Sie schleppt die Last der Schuldgefühle seit Jahren mit sich rum. Sie kann, im Gegensatz zu ihren Eltern, nicht loslassen. Der öffentliche Druck beraubt sie auch noch des befreienden Glaubens, mit ihrer Arbeit etwas Gutes zu tun (auch wenn später noch beiläufig erwähnt wird, dass der Mörder doch nicht den Film gesehen hat). Diesen Zerfall von Enids psychischen Gerüst bewältigt Hauptdarstellerin Niamh Algar (Raised by Wolfes) mit einer erstaunlichen Gratwanderung. Denn es kocht vor allem in ihrem Innern, sie selbst ist eine sehr zurückhaltende und optisch unauffällige Person. Dadurch wirken ihre späteren Ausbrüche umso intensiver. Algar hat diese doch sehr schwierige Rolle über die ganze Zeit souverän im Griff.

Und Censor ist als Film auch umfänglich auf Algars Leistung angewiesen. Die Mittel, die Prano Bailey-Bond für ihr Debüt zur Verfügung standen, scheinen eher klein. Man merkt dies an den wenigen Sets und auch der begrenzten Anzahl an Statisten, wenn etwa Reporter das Büro belagern. Auch die Goreszenen, die sich im letzten Drittel des Films häufen, können nicht immer gänzlich überzeugen. Viele Stimmungen fängt die Szenerie über die gute Studiobeleuchtung und schräge Perspektiven ein, die den Gemütszustand der Protagonistin passend untermalen. Dazu gesellen sich Verfremdungseffekte, die sich jedoch schnell abnutzen. In der Bildgestaltung scheint die Waliserin noch limitiert, oder sie verzichtete bewusst auf modern wirkende Stilmittel wie Zeitlupen oder digitale Effekte. Es ist jedenfalls nicht zu verleugnen, dass sich schon schnell eine gewisse Übersättigung einstellt, die glücklicherweise nie in Langeweile kippt.

Unser Fazit zu Censor

Prano Bailey-Bond lieferte hier ein durchaus bemerkenswertes Debüt ab, das vor allem in der Abbildung seiner Zeit glänzt. Auch wenn es im Gesamtbild doch stark vereinfacht dargestellt wird, fängt sie die Atmosphäre jener Tage gut ein. Gerade Horrorfilm-Fans und Kenner dieser Ära dürften, dank so einiger Anspielungen, somit ihren Spaß an Censor haben. Aber auch darüber hinaus kann der Film, vor allem erzählerisch und schauspielerisch, überzeugen. Niahm Algar liefert eine grandiose Performance ab, die den Film auch in schwierigen Phasen über Wasser hält. Insgesamt ist da noch Luft nach oben, aber für eine Debütantin schlägt sich Bailey-Bond mehr als ordentlich.

Censor lief im Rahmen der Berlinale im Festival-Segment Panorama!

Unsere Wertung:

 

 

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© Silver Salt Films

3 Kommentare

    • Berberian Sound Studio habe ich, obwohl schon länger auf der Liste, leider immer noch nicht gesehen. Aber auf Evil Ed wollte ich eigentlich auch noch eingehen, ist mir dann aber wohl wieder entfallen, alleine deswegen, weil eben der ursprüngliche Arbeitstitel zu Evil Ed eigentlich Censor! war. In dem Zusammenhang fällt mir jetzt natürlich auch wieder The Editor von Astron-6 ein, eine Giallo- und 70s-Hommage.

      • THE EDITOR hätte ich auch noch in den Ring geworfen, hätte es niemand anders getan. Um die Scheibe tigere ich seit einiger Zeit unentschlossen herum. Die möchte mal wieder in den Player.