Vor 10 Jahren erschuf Independet-Filmer Brian Paulin einen umstrittenen Film, der schnell zum Kulthit avancierte: Fetus.
Dank meines häuslichen Umfelds habe ich mich sehr früh für Filme interessieren und begeistern können. Das tatsächlich sogar über eine recht lange Zeit hinweg im Rahmen der jugendschützenden Vorgaben. Durch das elterliche Interesse am Film und mein steigendes Alter konnten dann höhere FSK-Freigaben mit elterlichem Einverständnis umschifft werden.
So hat sich mein persönliches Interessenfeld bis zum 18. Lebensjahr tatsächlich ausschließlich innerhalb deutscher Grenzen abgespielt, selbst im Horrorgenre. Kurze Zeit später stieg ich allerdings tiefer in die Materie ein und plötzlich eröffnete sich, dank der allseits bekannten Versandshops aus dem schönen Österreich, problemlos ein wundersamer Markt vollgestopft mit, vollmundig als Klassiker titulierter, fantastischer und actionreicher Filmen, die ein völlig neues Sehvergnügen versprachen.
So ließen sich etliche bekannte Wissenslücken schließen, aber aufgrund der schieren Masse älterer Werke und der scheinbar unendlichen Flut neuer Filme, klaffen auch heute noch riesige Lücken, die vielleicht nie geschlossen werden. Vor allem als sich einige Zeit später der Blick immer weiter vom Mainstream entfernt und stattdessen hin zu Indiefilmen, Amateurstreifen und letztendlich sogar dem Underground gewendet hat. Natürlich gilt auch dort: die Anzahl an Klassikern und gegenwärtigen Werken ist so immens, dass Allwissenheit in einem Leben nicht erreicht werden kann.

Vom Underground-Effekte-Guru: Fetus
Auch wenn mich diese Sparte des Horrorfilms mittlerweile deutlich mehr interessiert und fasziniert, kann ich das Vorurteil des Wald-und-Wiesen-Splatterfilms nicht immer ablegen. Zu schnell verbindet man mit Amateurproduktionen jene Werke, die einzig und allein auf Effekte setzen, auf diesem Weg versuchen technische Unkenntnis zu kaschieren und zu allem Übel in ihrer Gewaltbereitschaft schnell beginnen, monoton und einschläfernd zu wirken.
In diesem Nischengenre steht mit Brian Paulin allerdings jemand, der trotz des Charmes „von Fans für Fans“ mit beeindruckender Semiprofessionalität glänzen kann. Dank privater Finanzierung sind ihm auch keine Regeln auferlegt und seine Werke können in grafischer Drastik aus den Vollen schöpfen. Paulin weiß jedoch nicht nur an der Effektfront zu überzeugen, sein Fetus aus 2008 schafft es neben all der Gewalt tatsächlich mit Atmosphäre zu überzeugen:
Kevin (Brian Paulin) verliert bei einer Fehlgeburt Frau und Kind. In tiefer Trauer wendet er sich der Totenbeschwörung zu, um seine Liebsten wieder zurückzuholen. Der Versuch entpuppt sich allerdings als folgenschweres Unterfangen…

Kreativität und Einfallsreichtum
Was in dieser kurzen und knappen Zusammenfassung des Inhalts recht unspektakulär scheint, weiß mit unheimlichen Aufnahmen und düsterem Sounddesign eine bedrohliche Stimmung zu erzeugen. Hinzu kommt die überraschend nachvollziehbare und ergreifende Trauer von Kevin, der anfangs von dieser überwältigt wird und sich alte Familienaufnahmen ansieht, um seinen Verlust zu verkraften. Dabei wird mit wenig viel erreicht, denn diese Szenen reichen völlig aus, um die Liebe des Paares zu verdeutlichen.
Kevins emotionales Tief wird authentisch von Paulin verkörpert, der sich an jeden noch so kleinen Strohhalm klammert, um seinen Schicksalsschlag rückgängig machen zu können. Natürlich ist Fetus trotz dieser angenehm dramatischen Komponente noch immer ein waschechter Amateursplatter und so verwundert es nicht, dass die nekromantischen Rituale nach drastischen Blutopfern verlangen: Da wird einem Arm die Haut abgezogen, werden Zähne wenig zimperlich ausgeschlagen, Wirbelsäulen mit Hammer und Meißel freigelegt oder Innereien erbrochen. Die Kamera hält gnadenlos drauf und zeigt jedes Detail. Doch bei aller Zeigefreude sind die Effekte immer klar als solche zu erkennen. Trotzdem oder gerade wegen der Liebe zum altmodischen Handwerk lässt sich dieses Manko leicht ausblenden. Lieber einen schlechteren handmade Effekt als seelenlose Blutspritzer aus dem Computer.
Paulins Handwerkskunst weist auch keine Ermüdungserscheinungen auf. Dem entgegen steht auch der enorme Einfallsreichtum, der sich mit fortlaufender Spieldauer immer weiter steigert und in einem wahrlichen Albtraumfinale gipfelt. Die Gewaltakte werden entsprechend der Handlung immer surrealer und verstörender. Wenn Paulin zum Filmende hin eine wurmartige Kreatur entfesselt, die gnadenlos jedes Leben auslöscht, kann man ihm für seine Kreativität nur gratulieren. Was da mit vermutlich geringsten finanziellen Mitteln und Baumaterialien geschaffen wurde, ist wirklich eindrucksvoll und trotz der offensichtlichen Defizite absolut überzeugend.

Suspense…
Auch wenn die erste Filmhälfte schon mit einigen blutrünstigen Sequenzen aufwartet (von denen eine foreshadowing-Charakter aufweist), kommt hier die unheimliche Spannung nicht zu kurz.
Paulin setzt auf Suspense, wenn Kevin mit der Kamera im Nachtsichtmodus durch den Keller des Hauses schleicht, von Visionen und Stimmen heimgesucht wird. Dieser Umstand ist ihm hoch anzurechnen, da er so deutlich mehr Tiefe zu bieten hat als ein „gewöhnlicher“ Splatterfilm. Obwohl Kevins Schmerz und Trauer nachvollziehbar sind, kann die Identifikation mit seiner Figur sicherlich schwierig ausfallen.
Brian Paulin als offensichtlicher Black Metal-Fan wird deshalb auch als Filmfigur Kevin nicht bei jedem punkten können: schwarz gekleidet, langhaarig, bullige Figur. Da mag für manch einen die Trauer etwas aufgesetzt wirken und Kevin selbst erscheint insgesamt eher als verlässlicher Kumpel, dass der plötzliche Wandel zum eiskalten Mörder etwas abrupt kommt. Andererseits untermauert dies seinen immer stärker werdenden Fanatismus und Wahn. Überhaupt ist die Story zum Finale hin etwas holprig geraten, kann diesen Umstand mit ihrer mysteriös-bizarren Aufwartung aber ziemlich gut überspielen. Es passt, wenn einige Dinge unerklärlich bleiben, da die aufspielenden Mächte für den Zuschauer genau so bedrohlich und wenig nachvollziehbar bleiben wie für Kevin.
Brian Paulin sollte den entsprechenden Fans in Deutschland wohl schon seit Bone Sickness ein Begriff sein. Mir selbst sind bisher leider nur zwei seiner Regiewerke bekannt, aber ich wage die Behauptung, dass ihm mit Fetus sein Meisterwerk gelungen ist. Auch wenn der Streifen recht kurz ist, werden die Genrezutaten versiert und pointiert ausgespielt. Die anfängliche Anspannung weicht zusehends einem höllisch brutalen Inferno, das vor allem mit Kreativität die begrenzten geldlichen Mittel überspielt.
…und Gore galore
Die Gewalt ist drastisch und alles andere als massentauglich, wirkt aber nie so aufgesetzt selbstzweckhaft, wie bei anderen Vertreter dieser Zunft, sondern bettet sie in die Story ein. Vor allem das Finale gleicht mit seinem fantasievollen Creature-Design und den brodelnden Brutalitäten einem Albtraum. Unterstützt wird die ausweglose Atmosphäre von einigen interessanten Kameraeinstellungen und einem absolut gelungenem Sound, der vor allem die dramatischen und gruseligen Szenen der ersten Filmhälfte klasse untermalt. Elektronisch verzerrte Stimmen und düstere Noise-Samples verleihen dem grotesken Finale den entsprechenden Anstrich. Trotz der Affinität des Regisseurs zum Black Metal, taucht dieser dankenswerter Weise nicht im Film selbst auf.
Das Sounddesign setzt auf eine schwer zu beschreibende Noise-Untermalung mit Dröhnen und Rauschen, was den mysteriösen Aspekt noch unterstreicht. Vor allem zu Beginn wird hingegen noch auf recht klassische Komposition gesetzt. Wenn der Abspann über den Bildschirm wandert, ertönen dann aber doch noch typische Black Metal-Klänge.

Fetus kam übrigens die zweifelhafte Ehre zu Teil, sich zu den in Deutschland beschlagnahmten Filmen gesellen zu dürfen. Leider wird dem Film, vor allem da es sich um einen Amateurstreifen handelt, das Prädikat einer sinnlosen Schlachtplatte aufgedrückt – dabei bietet Fetus deutlich mehr als anspruchsloses Gekröse. Ein überraschend atmosphärisches Werk, das nichtsdestotrotz mit handwerklich geschickt umgesetzten Splattereffekten jeden Fan zufrieden stellen sollte.
Die Bilder wurden mit freundlicher Unterstützung des Regisseurs zur Illustrierung für diese Besprechung freigegeben!
© Morbid Vision Films
Tobi ist bereits gute 7 Jahre an Bord und teilt so fast 20% seiner Lebenszeit mit Filmtoast. Wie es ursprünglich dazu kam ist so simpel wie naheliegend. Tobi hatte unregelmäßig auf Seiten wie Schnittberichte Reviews zu Filmen verfasst und kam über diverse facebooksche Filmgruppen und –diskussionen in Berührung mit dem damaligen Team von Filmtoast (die Älteren erinnern sich: noch unter dem Namen Movicfreakz) und wurde daraufhin Teil dessen.
Thematisch ist er aufgeschlossen, seine feste Heimat hat er jedoch im Horrorfilm gefunden, da für ihn kein anderes Genre solch eine breite Variation an Themen und Spielarten zulässt. Kontroverser Ekelschocker, verstörender Psychothriller oder Elevated Horror – fast alles ist gern gesehen, auch wenn er zugeben muss, dass er einen Sweet Spot für blutrünstig erzählte Geschichten besitzt.
Tobi geht zum Lachen jedoch nicht (nur) in den blutverschmierten Keller, sein Herz schlägt unter anderem bei Helge Schneider, dänischem schwarzen Humor oder den Disyneyfilmen seiner Kindheit höher.
Kinogänge vollzieht er am liebsten im städtischen Programmkino, zum Leidwesen seiner filmisch weniger affinen Freunde, meidet er große Kinoketten wie der Teufel das Weihwasser. Am liebsten geht er seiner Filmleidenschaft jedoch in den eigenen vier Wänden nach, um den viel zitierten Pile of Shame seiner physischen Filmsammlung abzuarbeiten.
Tobi lebt in Sachsen-Anhalt, ist beruflich in einer stationären außerklinischen Intensivpflege verankert und hat mit der Begeisterung zum Film und dem Schreiben darüber den für sich perfekten Ausgleich zum oftmals stressigen Arbeitsalltag gefunden.

