Der unverwechselbare Stil von Guillermo del Toro und der Horrorklassiker Frankenstein, das scheint doch wie die Faust aufs Auge zu passen. Nach jahrelanger Wartezeit hat der Mexikaner sein Traumprojekt veröffentlicht. Hat sich das Warten gelohnt?
Darum geht’s in Frankenstein
Ein brillanter, aber egoistischer Wissenschaftler erweckt eine Kreatur in einem monströsen Experiment zum Leben, das letztendlich zum Untergang sowohl des Schöpfers als auch seiner tragischen Schöpfung führt.
Offizielle Synopsis
Dr. Victor Frankenstein (Oscar Isaac) ein brillanter Wissenschaftler, ist besessen davon neues Leben zu erschaffen. In einem gewagten Experiment setzt er seine Theorien in die Tat um und erschafft eine Kreatur (Jacob Elordi) aus verschiedenen menschlichen Körperteilen. Anstatt jedoch, wie erhofft, Perfektion zu erreichen, entsteht ein Monster, welches von der Gesellschaft verstoßen wird. Die Kreatur, gefangen zwischen dem Wunsch nach Akzeptanz und dem Drang nach Rache, stellt schließlich sowohl ihren Schöpfer, als auch sich selbst vor eine tragische Konfrontation, die Dr. Frankenstein bereuen lassen soll, sich mit seiner Schöpfung in die Natur eingemischt zu haben.

Ein Epos, das seinen Namen verdient
Um Frankenstein als literarisches Gesamtwerk zu erfassen, muss man seine verschiedenen Gattungen verstehen. Guillermo del Toro liest Mary Shelley als Urmutter der Science-Fiction und inszeniert präzise die frühen Forschungen Viktor Frankensteins. Vom Experimentieren mit toten Körpern bis hin zum Größenwahn, für den er sprichwörtlich über Leichen geht. Oscar Isaac trägt die erste Hälfte des Films gekonnt. Mit jedem Fortschritt verliert sein Viktor ein Stück Menschlichkeit, bis bei der Erschaffung seines Homunkulus jede Empathie versiegt ist. Das Motiv des „verrückten Wissenschaftlers“ unterstreicht Del Toro mit ambitionierten Designs und opulenter Ausstattung. Besonders die praktischen Effekte in Viktors frühen Demonstrationen beeindrucken. Gleichzeitig mischt Del Toro seine visuellen Ideen mit artifiziellen Hintergründen, die unübersehbar den Stempel des Produktionsstudios tragen. Doch trotz der typischen Netflix-Ästhetik bleibt der Look des Films hochwertig, getragen von Del Toros Erfahrung und Gespür im World Building.
Den verdienten epischen Charakter verleiht dem Film Jacob Elordis (Priscilla) Monster Adam. Elordi, dessen Gesicht über weite Strecken verhüllt bleibt, überzeugt mit einem subtilen Augenspiel und verbirgt seinen Schmerz elegant hinter der Wut auf Viktor. Das Drehbuch folgt hier stärker Shelleys romantischen Zügen: Wir erleben, wie Adam das Menschsein entdeckt: Natur, Zuneigung, Herzlichkeit, aber auch die Kälte, Härte und Grausamkeit seiner Mitmenschen, allen voran seines Schöpfers. Del Toro betont die tragische Dimension des Monsters und widmet dieser Ebene großzügig Zeit. Zugleich bleibt es eine Rache- und Gothic-Horror-Geschichte, in der Adam den Mann jagt, der ihn so schmerzvoll in die kalte Welt entließ.
Mit seiner epischen Laufzeit von 150 Minuten erweist sich der Film beiden Hälften des Romans gegenüber als sorgfältig. Dazu kommen ein starkes Ensemble und eine visuell beeindruckende Vision, die große Bilder entstehen lässt: Frankensteins Labor, sein Anwesen, die Hütte im Wald, das Schiff im Eis. Kosten und Mühen wurden offensichtlich nicht gescheut, um die gewaltige Dimension dieser Geschichte einzufangen.
Das Problem der Werktreue
Guillermo del Toros Frankenstein steht in einer jahrhundertealten Tradition von Adaptionen. Berühmte Klassiker wie James Whales Filme aus den 1930ern orientierten sich nur lose an der Vorlage, nahmen Namen und Themen auf, schufen aber neue Klischees für die Popkultur – allen voran Boris Karloffs ikonisches Monsterdesign. So geriet Shelleys eigentliche Geschichte zunehmend in den Hintergrund. Auf der Leinwand wurde Frankenstein zur Monster- oder Slasher-Geschichte reduziert, in den 1950er- und 60er-Jahren sogar zur B-Movie-Ikone, befeuert durch Darsteller wie Peter Cushing.

Kenneth Branagh wagte in den 1990ern eine Rückkehr zur Essenz des Romans, besetzte Robert De Niro als Monster und gewann immerhin einen Oscar fürs Make-up. Serien wie Penny Dreadful brachten die Figur in jüngerer Zeit wieder näher an Shelley heran: romantisch, eloquent, voller Tragik. Besonders Greg Kinnears John Clare gilt vielen Fans bis heute als vielleicht überzeugendste Verkörperung des literarischen Monsters.
Del Toro hat seine Hausaufgaben gemacht: Seine Version bleibt der Vorlage bemerkenswert treu und trifft die großen Themen des Romans. Hybris, das Ringen zwischen Wissenschaft und Religion, Empathie für das missverstandene Wesen, die Frage nach der Natur des Menschen. All das ist klug umgesetzt, doch neu wirkt es nicht. Del Toro bewegt sich auf der sicheren Fahrbahn, ohne den Mut zur eigenen, zeitgenössischen Interpretation. Die Motive bleiben relevant, aber in der Inszenierung vertraut. So entsteht eine bildgewaltige und respektvolle, aber letztlich wenig überraschende Adaption. Eine, die schon jetzt Gefahr läuft, Staub anzusammeln.
© Netflix
Unser Fazit zu Frankenstein
Del Toros Frankenstein gehört auf die große Leinwand: Ausdrucksvoll, präzise und voller filmischer Kompetenz. Sein Ensemble um Oscar Isaac, Jacob Elordi und Christoph Waltz glänzt durchweg mit starken Interpretationen der literarischen Figuren. Die Geschichte ist spannend erzählt, klug strukturiert und bleibt stets klar nachvollziehbar. Doch das größte Manko bleibt die Eindimensionalität des Gesamtwerks. Del Toro bleibt zu nah an der Vorlage, ohne ihr frische Impulse zu verleihen. Am Ende ist es ein guter, respektvoller Frankenstein, aber keiner, der Größe oder Zeitlosigkeit erreicht.
