Nach ihrem Marvel-Ausflug mit The Marvels widmet sich Nia DaCosta einer ganz anderen Vorlage – einen Marvel-Star hat sie aber trotzdem an Bord. Wie ist Hedda bei Amazon Prime Video gelungen?
Darum geht’s in Hedda
Hedda ist eine provokante Neuinterpretation von Henrik Ibsens klassischem Stück und folgt der rätselhaften frisch verheirateten Hedda (Tessa Thompson), die äußerlich gelassen ist, aber eine kochende Unzufriedenheit verbirgt, die zu explodieren droht, als die brillante und charismatische Eileen Lovberg (Nina Hoss) wieder in ihr Leben tritt. Im Laufe einer rauen Party ertragen alle Anwesenden die Konsequenzen dieser gefährlichen Frau, die sich nach einer vergangenen Liebe sehnt. Was folgt, ist ein rücksichtsloses Spiel der Manipulation, in dem Lust, Eifersucht und Verrat aufeinanderprallen.

Die Candyman-Regisseurin auf Baz Lurmans Spuren
Das Ibsen-Werk „Hedda Gabler“ ist so sehr „Klassiker“, dass es gar nicht selten in Kreuzworträtseln abgefragt wird. Die erste Filmversion ist sogar schon über 100 Jahre alt, insgesamt gibt es etwa ein Dutzend davon. Wie die zeitlosen Shakespeare-Stücke bietet sich auch dieser Stoff immer wieder für Neuinterprationen oder Neuinszenierungen an, ist doch die Story der manipulativen Aristokratentochter von sich aus einfach ziemlich unterhaltsam, hängt aber zu einem großen Teil von der individuellen Besetzung der Rollen ab.
Und so kann man gleich zu Beginn einmal inhaltlich zumindest den Kennern der Materie sagen, dass Nia DaCosta hier eigentlich keine großen Sprünge weg vom Ur-Stoff aus dem Jahr 1871 wagt. „Eigentlich“ weil es doch eine Änderung gibt, die auf dem Papier vielleicht sogar noch größer wirkt, als sie sich nun Hedda tatsächlich auswirkt: Denn die Rolle, die nun von Nina Hoss übernommen wurde, ist im Original eigentlich ein Mann.
Doch ansonsten ist man weitestgehend werktreu auf der inhaltlichen Ebene und schraubt dafür in Sachen technischer Darbietung voll in den 2025er-Modus, wenn man sich den Musikeinsatz, aber auch die Kameraarbeit und den extrem hochwertigen Look vor Augen führt. Es ist zwar noch nicht ganz auf dem Opulenzlevel in punkto Ausstattung wie bei Baz Lurmans Great Gatsby, aber wer mit dieser Art von Literaturverfilmung etwas anfangen kann, wird sich auch sehr gut auf den Prime-Video-Film einlassen können.
Tessa Thompson vs. Nina Hoss…
Da, wie beschrieben, die Geschichte wahlweise ohnehin bekannt ist oder man sich recht leicht die Zusammenfassung des Klassikers anlesen kann, wird hier nun weder tiefer auf die Story eingegangen noch wird diese für die Bewertung eine größere Rolle spielen. Sind wir ehrlich: Ibsens Stück ist eine nahezu perfekte, zeitlose Parabel über Machtverhältnisse, Wohlstandsverwahrlosung und Emanzipation – ganz unabhängig von der geschlechtlichen Ebene.
Viel wichtiger ist jedoch, dass der neue Film unabhängig von der Kenntnis der Geschichte ziemlich gut funktioniert, weil schlicht mit dem Casting der beiden wohl wichtigsten Figuren ins Schwarze getroffen wurde: Tessa Thompson ist schlicht brillant, schafft es nicht nur überzeugend alle ihre Gegenüber im Film zu manipulieren, sondern spielt auch nach Belieben mit uns als Publikum. Besonders wenn die Kamera lange auf ihrem Gesicht verharrt und sie mit minimalen Augenbewegungen maximale Aussagekraft versprüht, wird klar, was für eine sensationelle Darstellerin der MCU-Star ist.
Die Gefahr, die es für Hedda quasi als Herausforderung zu beseitigen gilt, ist die von Nina Hoss gespielte Eileen, die schauspielerisch mit Thompson mühelos mithalten kann und der man kaum anmerkt, dass sie keine Muttersprachlerin ist. Es gibt eine Szene, in der sie eine Rede ohne jedwede Berührungsängste in einem Raum voller mächtiger Männer hält. Das trägt sie mit einer solchen Aura vor, dass man mit hellster Freude dabei zusehen kann, wie alle Personen um sie herum von Satz zu Satz immer weiter schrumpfen.
… und ein paar Männer sind auch dabei
Auf diese beiden Frauenfiguren ist in der Adaption eindeutig der Fokus gerichtet, auch wenn die Rolle von Imogen Poots ebenfalls noch einige Akzente zugestanden bekommt, was die Darstellerin dann auch exzellent versteht, um diese Bühne für sich kurzzeitig einzunehmen. Die Männerrollen hingegen sind – und das aber mit vollster Absicht – hier maximal in der zweite/dritten Reihe oder gar nur Beiwerk. Es ist trotzdem nicht so, dass diese Rollen zu Lachnummern verkommen, wie es durchaus hätte passieren können, wenn die Interpretation nicht so viel Fingerspitzengefühl auch an dieser Stelle bewiesen hätte. Nicholas Pinnock und Tom Bateman machen auf jeden Fall noch das beste draus.

Hedda ist eine zeitgemäße Theaterinterpretation fürs Kino oder Streaming. Die etwa 100 vergehen wie im Flug, besonders die letzten 20 Minuten haben, egal ob man weiß, wie die Geschichte endet oder nicht, Relevanz, Wucht und die Schlusspointe sitzt perfekt, weil auch in diesem allerletzten Moment Tessa Thompson nochmal mit einem einzigen Blick direkt in die Herzen der Zuschauenden eindringt.
© Amazon MGM Studios
Unser Fazit zu Hedda
Hedda bringt das Ibsen-Stück gleichzeitig zeitgemäß und zeitlos vom Theater ins Streaming. Es ist schade, dass dieser Film wohl durch die mutlose Platzierung ohne große Promo und breiten Kinostart bei Prime Video, unterzugehen droht. Vielen wird daher das Oscar-reife Schauspielduell zwischen Tessa Thompson und Nina Hoss entgehen.
Daheim in Oberfranken und in nahezu allen Film- und Serienfranchises, schaut Jan mehr als noch als gesund bezeichnet werden kann. Gäbe es nicht schon den Begriff Serienjunkie, er hätte bei über 200 Staffeln im Jahr für ihn erfunden werden müssen. Doch nicht nur das reine Konsumieren macht ihm Spaß, das Schreiben und Sprechen über das Gesehene ist mindestens eine genauso große Passion. Und so ist er inzwischen knapp fünf Jahre bei Filmtoast an Bord und darf hier seine Sucht, ähm Leidenschaft, ausleben. Die wird insbesondere von hochwertigen HBO- und Apple-Serien immer wieder aufs Neue angefacht und jeder Kinobesuch hält die Flamme am Lodern. Es fällt Jan, wie ihr euch bestimmt wegen der Masse an Geschautem vorstellen könnt, schwer, Lieblingsfilme, -serien oder auch nur Genres einzugrenzen. Er ist und bleibt offen für alles, von A wie Anime bis Z wie Zack Snyder.

