Regisseur Guillaume Nicloux verwirklicht mit Lockdown Tower seinen ersten Horrorfilm, der sich auf die Corona-Pandemie und kindliche Ängste des Regisseurs vor Dunkelheit zurückführen lässt.

Die Handlung von Lockdown Tower
Eines Morgens wagen die Bewohner eines Hochhauses es kaum, ihren Augen zu trauen: hinter den Fensterscheiben und Türen erblicken sie nichts außer dichtester Schwärze. Alles, was in diesen undurchdringlichen Nebel taucht, verschwindet unwiederbringlich. Ganz egal ob simple Gegenstände oder menschliche Gliedmaßen…
Eingepfercht in ihren eigenen vier Wänden beginnt für die Bewohner nicht nur eine endlose Zeit des Harrens, sondern auch des aufkeimenden Kampfes um Ressourcen und die Vormachtstellung im Gebäude…

Limitiertes Setting
Filme, welche ihre Figuren einem isolierten Setting aussetzen, gibt es in unzähliger Menge. Gut ausgespielt kanalisieren sich hier Action und Spannung auf dichtestem Raum und erschaffen ein intensives Spektakel. Musterbeispiele für diese Art der reduzierten Handlung, angereichert mit rasender Dynamik stellen im modernen Kino sicherlich Dredd oder The Raid dar.
Aber natürlich bieten sich ähnliche Ausgangssituationen auch im Horrorgenre an, wie beispielsweise einige Science-Fiction-Werke in der beengten Weite des unendlichen Alls beweisen (Paradebeisspiel: Alien) oder auch die Stephen King-Adaption Der Nebel, um eine in einem Supermarkt eingeschlossene Menschengruppe, während vor den Fenstern die Umwelt von dichtestem Nebel verschluckt wird – in welchem sich zu allem Überfluss tödliche Kreaturen tummeln.
Genau solch ein unerklärlicher Nebel findet sich auch in Lockdown Tower vor den Türen eines Sozialbaus wieder. Außer alles verschluckender Schwärze ist von der Außenwelt nichts geblieben. Die Welt schrumpft zusammen und besteht fortan nur noch aus den Wohnungen, Treppenaufgängen und Nachbarn.

Nihilismus pur
Wie Regisseur und Drehbuchautor Guillaume Nicloux im Interview offenbart, handelt es sich bei Lockdown Tower um seinen ersten reinen Genrefilm. Dabei gehen seine bisherigen Erfahrungen auf dem Regiestuhl (große Namen wie Isabelle Huppert oder Gérard Depardieu wurden bereits von ihm dirigiert) und ein außergewöhnlicher Inszenierungsstil eine fruchtbare Symbiose ein.
Denn Nicloux bietet dem Publikum quasi keine Ankerpunkte oder Sympathieträger: Genau wie die Bewohner des Hochhauses wird man in den ersten Minuten vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Lage ist klar umrissen und konzentriert sich weniger auf das „Wie“ und das „Warum“, sondern viel mehr auf das „Wer“. Es geht Nicloux nicht darum, das Rätsel um die schwarze Hülle zu lüften oder aus dieser zu entkommen. Stattdessen stehen die Dynamiken der eingeschlossenen Menschen im Fokus.
Im Alltag oftmals nur subtil sichtbare Dinge wie Rassismus, Sexismus, Gewalt, Religion, Homophobie werden hier nur allzu schnell offensichtlich und tonangebend. Die verschiedenen Nationalitäten schließen sich zu Gruppierungen zusammen, sodass im „Tower“ schnell eine Art Klassengesellschaft etabliert wird, die sich in Araber, Schwarze und Weiße unterteilt. Dabei lösen sich gesellschaftliche Konventionen schneller auf, als einem lieb sein kann. Während anfangs noch Haustiere, Alte und Kinder dem gemeinsamen Konsens unterliegen, nicht in irgendeiner Art und Weise geschädigt zu werden, entwickeln sich diese Absprachen zügig in weniger erfreuliche Richtungen. Die dadurch entstehende nihilistische Stimmung muss man tatsächlich erst einmal aushalten können.

Fragmentarische Erzählung
Damit erinnert Lockdown Tower mehr an das ebenso pessimistische Endzeitdrama The Road denn an grafisch ungleich brutalere Terrorfilme der französischen neuen Härte. Lockdown Tower zieht seine vernichtend deprimierende Atmosphäre eben nicht aus plakativen Splattereffekten, sondern aus dem Zerfall jeglicher moralischer und gesellschaftlicher Ordnung. Anders als beispielsweise der letztjährige Schocker The Sadness, bei welchem sich auch sämtliche ethischen Vorbehalte bei den Infizierten verabschiedeten, äußert sich der Werteverfall hier aber auf eine unterschwellige Weise.
Denn Guillaume Niclouxs Film zeichnet kein lineares Bild der Apokalypse. Stattdessen zeigt er episodisch, wie sich Mensch und Gebäude im Laufe der Zeit verändern. Dadurch gewinnt das Werk enorm an Spannung, da man sich stets aufs Neue orientieren muss: Wie viel Zeit ist vergangen? Was ist zwischenzeitlich mit Personen geschehen? Wer ist neuer Anführer oder wer ist im Rang abgestiegen? Zusätzlich verfällt das Gebäude zusehends immer mehr. Wo anfangs zeitweilige Stromausfälle noch das kleinste Übel darstellten, sind nunmehr die Wohnungen demoliert, offene Feuer beleuchten die Areale und die Umgebung ist mit Ausscheidungen aller Art verschmiert.
Es kann jedoch auch passieren, dass La Tour (Originaltitel) genau wegen seiner sprunghaften Inszenierung vor den Kopf stößt, da man weder in Ort und Zeit noch bei den agierenden Personen eine wirkliche Konstante geboten bekommt. Zusätzlich entwickeln sich Riten und neue Normen, die eine zivilisierte Gesellschaft strikt ablehnen würde. Der Film ist somit nicht unbedingt klassischer Horror, bietet inhaltlich aber reichlich Potential für Albträume, da alles andere als leichte Kost.
Unser Fazit zu Lockdown Tower
Lockdown Tower macht es seinem Publikum nicht leicht. Eine vertrackte Ausgangslage und die sprunghafte Erzählung halten das Interesse aufrecht, wie sich die Lage der Bewohner und das Hochhaus selbst im Laufe der Zeit wandeln. Über allem thront die nihilistische und jeglicher Positivität entsagende Atmosphäre. Das und die erschwerte Identifikation mit der Vielzahl an Personen erschweren es jedoch ungeheuer, sich emotional fesseln zu lassen.
Lockdown Tower erschien am 25.08.2023 als DVD, Blu-ray und als UHD-Mediabook.
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© Capelight Pictures
Tobi ist bereits gute 7 Jahre an Bord und teilt so fast 20% seiner Lebenszeit mit Filmtoast. Wie es ursprünglich dazu kam ist so simpel wie naheliegend. Tobi hatte unregelmäßig auf Seiten wie Schnittberichte Reviews zu Filmen verfasst und kam über diverse facebooksche Filmgruppen und –diskussionen in Berührung mit dem damaligen Team von Filmtoast (die Älteren erinnern sich: noch unter dem Namen Movicfreakz) und wurde daraufhin Teil dessen.
Thematisch ist er aufgeschlossen, seine feste Heimat hat er jedoch im Horrorfilm gefunden, da für ihn kein anderes Genre solch eine breite Variation an Themen und Spielarten zulässt. Kontroverser Ekelschocker, verstörender Psychothriller oder Elevated Horror – fast alles ist gern gesehen, auch wenn er zugeben muss, dass er einen Sweet Spot für blutrünstig erzählte Geschichten besitzt.
Tobi geht zum Lachen jedoch nicht (nur) in den blutverschmierten Keller, sein Herz schlägt unter anderem bei Helge Schneider, dänischem schwarzen Humor oder den Disyneyfilmen seiner Kindheit höher.
Kinogänge vollzieht er am liebsten im städtischen Programmkino, zum Leidwesen seiner filmisch weniger affinen Freunde, meidet er große Kinoketten wie der Teufel das Weihwasser. Am liebsten geht er seiner Filmleidenschaft jedoch in den eigenen vier Wänden nach, um den viel zitierten Pile of Shame seiner physischen Filmsammlung abzuarbeiten.
Tobi lebt in Sachsen-Anhalt, ist beruflich in einer stationären außerklinischen Intensivpflege verankert und hat mit der Begeisterung zum Film und dem Schreiben darüber den für sich perfekten Ausgleich zum oftmals stressigen Arbeitsalltag gefunden.

