Mike Flanagan adaptiert eine Stephen King Short Story. Klingt nach perfect match, aber ist The Life of Chuck tatsächlich der erhoffte Genre-Kracher?
Darum geht’s in The Life of Chuck
Wer ist Chuck? Die Welt geht unter, Kalifornien versinkt im Meer, das Internet bricht zusammen – doch in einer amerikanischen Kleinstadt herrscht vor allem Dankbarkeit gegenüber Charles „Chuck“ Krantz (Tom Hiddleston), einem gewöhnlichen Buchhalter, dessen Gesicht allen freundlich von Plakatwänden und aus dem Fernsehen zulächelt. Wer ist dieser Mann, den niemand wirklich zu kennen scheint? Ein Rätsel, das weit zurückreicht … bis in dessen Kindheit bei seiner Großmutter (Mia Sara), die ihre unendliche Liebe fürs Tanzen an ihn weitergab, und seinem Großvater (Mark Hamill), der ihn in die Geheimnisse der Buchhaltung einweihte und unbedingt vor jenem der verschlossenen Dachkammer bewahren wollte. Ein Rätsel, das vor allem eine Frage aufwirft: Kann das Schicksal eines Einzelnen die ganze Welt verändern?

Eine unverfilmbare Kurzgeschichte?
Im Vorfeld wurde viel darüber spekuliert, wie es Mike Flanagan gelingen würde, Stephen Kings komplexe Kurzgeschichte zu adaptieren. Die Vorlage zeichnet sich durch eine detaillierte Darstellung von Chucks Innenleben aus und verlangt nach einer tiefgehenden filmischen Umsetzung. Mike Flanagan hat sich insbesondere in seinen Serien einen Namen damit gemacht, komplexe Emotionen mit Feingefühl zu inszenieren und eine melancholische Grundstimmung zu erzeugen. Genau diese Herangehensweise erfordert auch Kings Kurzgeschichte.
Auffällig ist vor allem die außergewöhnliche Erzählstruktur. The Life of Chuck begleitet die titelgebende Figur in den letzten Momenten ihres Lebens und verzichtet bewusst auf eine chronologische Erzählweise. Das Publikum verfolgt nicht nur Erinnerungen an Chucks Kindheit, sondern taucht tief in sein Unterbewusstsein ein.
Zunächst begegnen wir in einer von ihm erschaffenen Welt verschiedenen Figuren aus Chucks Leben. Es handelt sich um Menschen, die erleben, wie die Welt ihm über 39 Jahre hinweg dankt. Danach widmet sich der Film einer seiner intimsten Erinnerungen, die mit einem bedeutungsvollen Tanz verknüpft ist. Schließlich dringt die Erzählung bis zu den frühesten Vorstellungen seiner Kindheit vor.
Flanagan formt aus bloßen Rückblicken eine Lebensgeschichte. Er macht aus einem zunächst unbekannten, sterbenden Mann eine greifbare Figur, indem er dem Publikum Zugang zu dessen tiefstem Inneren gewährt – seinen Sehnsüchten, Ängsten und Freuden.
Bruchstücke einer Existenz
Was bleibt in der Stunde des Todes von einem Menschen übrig? Hinterlässt er etwas? Und welche Momente und Menschen spielen am Ende wirklich eine Rolle? Mike Flanagan leitet gekonnt ein, welche Details aus Chucks Leben in seinem eigens geschaffenen Universum Bedeutung erlangen. Das erste Drittel des Films richtet den Blick nicht auf Chuck selbst, sondern auf die Welt, die ihn umgibt; auf die Fragmente, aus denen er sein eigenes Universum formt. Der Film kondensiert die existenziellen Ängste und Sorgen eines Menschen zu einem eindringlichen Fluss aus Erinnerungen und Bedeutungen.
Zunächst scheinen die Beziehungen zwischen den Figuren kaum relevant. Doch sobald deutlich wird, dass es sich bei allem um Chucks Manifestationen seines eigenen Daseins handelt, gewinnen jede Geste, jedes Wort zwischen den Charakteren spürbar an Gewicht.
Im Zentrum des Films steht die Erkenntnis: Es sind die Begegnungen und die gemeinsam erlebten Momente, die unser Leben ausmachen. Ins zweiten Akt trifft Chuck auf zwei fremde Frauen, wo sich hinter ihren Persönlichkeiten sich jeweils eigene, komplexe Geschichten verbergen. Gemeinsam erleben sie einen flüchtigen, aber tiefgreifenden Augenblick, der allen Beteiligten unvergesslich bleibt. Die Botschaft an das Publikum lautet:
„Nutzt die Gelegenheiten im Leben. Lernt neue Menschen und ihre Geschichten kennen. Versteckt nicht den Teil in euch, der euch wirklich ausmacht.“

In Chucks Fall ist es das Tanzen, wie der dritte Akt offenbart. In der Mitte des Films erleben wir eine bewegende Tanzszene mit Tom Hiddleston (Loki) und Annalise Basso, die bereits allein den Kinobesuch rechtfertigt. Für Kenner:innen der Kurzgeschichte mag diese Sequenz sogar zu kurz geraten sein – doch als Teil der Adaption funktioniert sie außerordentlich gut.
Daraufhin folgt der letzte Teil: Chucks Kindheit. Hier treten erstmals fundamentale Erfahrungen zutage – Verlust, Freude, Angst, Wut, Liebe und Trauer. Flanagan gelingt ein feinfühliger, geschmackvoller Umgang mit den Emotionen eines jungen Menschen. Bereits im Kindesalter entstehen Momente, die das gesamte spätere Leben prägen können: ein Schultanz, der Verlust der Eltern, die prägenden Worte eines Großvaters. Flanagan zeigt eindrücklich, wie fragil und prägend die frühen Jahre sind – und wie die Vergangenheit sowie die Menschen darin als lebenslange Begleiter im Innersten weiterexistieren.
Ein Publikumsliebling für alle?
Als The Life of Chuck im Vorjahr beim Toronto International Film Festival den Publikumspreis gewann, wurde die Neugier groß. Offenbar war es Mike Flanagan gelungen, einen Film zu schaffen, dessen Themen eine breite Masse ansprechen konnten. Und das hat sich bestätigt.
Tom Hiddlestons Charme, die zugänglichen, melancholischen Motive und die emotionale Erzählweise entwickeln eine eindrucksvolle Eigendynamik, die das Publikum berührt, zum Staunen bringt und zum Nachdenken anregt. Doch genau darin liegt auch eine gewisse Limitierung: Die Themen sind klar auf ein breites Publikum zugeschnitten – nachvollziehbar, nahbar, aber nicht sonderlich subtil erzählt.
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Unser Fazit zu The Life of Chuck
Flanagan kratzt in seiner Adaption meist nur an der Oberfläche; eine tiefere Auseinandersetzung bleibt weitgehend aus. Es sind leichte Abzüge in der B-Note, die The Life of Chuck zwar als lebensbejahendes und emotional wirksames Werk erscheinen lassen, aber möglicherweise verhindern, dass der Film einen langfristigen, nachhaltigen Eindruck hinterlässt.
The Life of Chuck startet am 24. Juli in unseren Kinos.