Kirill Sokolov zeigt mit Why Don’t You Just Die!, dass er es versteht, auf kleinstem Raum ein doppelbödiges und herrlich wahnwitziges Kammerspiel zu inszenieren.
[su_youtube URL=“https://www.youtube.com/watch?v=9PN0VtvmMqg“]

Darum geht’s in Why Don’t You Just Die!
Matvey (Aleksandr Kuznetsov) steht vor der Wohnungstür von Andrey (Vitaliy Khaev), seinem Schwiegervater in spe. Mit dabei: Einen Hammer, um Andrey zu erschlagen. Warum? Weil Olya (Evgeniya Kregzhde), Matveys Freundin und Tochter Andreiys, ihm dies so aufgetragen hat…
Wendungen…
Die augenscheinlich nicht sehr tiefgründige Handlung schlägt im Verlauf ihres knapp eineinhalbstündigen Rausches so manchen Haken, die all jene verstummen lassen, die der schlichten Ausgangslage mangelnde Substanz vorwerfen.
Denn die gegenwärtige fortlaufende Story wird immer dann von erklärenden Rückblenden durchbrochen, wenn das Geschehen in der Wohnung droht, monoton zu werden. So entspinnt sich ein Flow, der den Film immer zum richtigen Zeitpunkt ent- oder beschleunigt. Langfilmdebütant Kirill Sokolov, der auch das Editing komplett selbst übernommen hat, beweist hier ein erstaunlich versiertes Händchen für Pacing und Timing. Außerdem offenbaren die Rückblenden Beweggründe für das Handeln der jeweiligen Personen und tragen dadurch immer einen Teil zur Charakterisierung bei.

Als ob Andreys und Matveys Schlagabtausch nicht schon reichlich ausufernde Züge annimmt, werden in aller Regelmäßigkeit neue Figuren in die Szenerie gebracht, die stets zur Verkomplizierung der eh schon undurchsichtigen Situation beitragen.
Why Don’t You Just Die! zieht viel seines Charmes aus der mehrfach doppelbödigen Geschichte. Es ist neben all den aberwitzigen Ideen, die sich der Drehbuchautor (auch hier: Kirill Sokolov) ausgedacht hat, aber vor allem die Dynamik, die den Großteil der Laufzeit vorherrscht. Stets und ständig herrscht Bewegung. Entweder durch die Figuren und deren Handlungen oder durch die flinke Kamera. Diese wird von Dmitriy Ulyukaev geschickt bedient. Sie ist mal nah dran an den Figuren, belauert ihre Gestiken und Gesichtsausdrücke, dann fährt sie in weichen Fahrten vom einen zum anderen Protagonisten oder zeigt sogar panoramaartige Totalen vom Wohnzimmer. Ulyukaev spielt gekonnt mir den Limitierungen einer kleinen Mietswohnung und lässt auf die Optik bezogen zu keiner Sekunde Langeweile aufkommen.
…und Gewalt
Dadurch wird das beschränkte Set mit seinen zwei Zimmern bis aufs Äußerste genutzt und wirkt nie ermüdend. Erst gegen Ende, wenn die Tochter des Hauses ihren Auftritt hat, wird das Tempo etwas stärker gedrosselt als in den vorhergegangenen Minuten. Diesen kleinen Wermutstropfen kann das Finale aber mit Leichtigkeit wieder wettmachen.
Why Don’t You Just Die! bietet neben seinen immer perfider werdenden Verstrickungen aber ein weiteres Standbein: Die völlig überzeichnete, comicartige Gewalt. Der internationale Titel des Films erhielt seinen Namen nicht von ungefähr. Was die Parteien hier einstecken müssen/dürfen/können, stellt eine dermaßen übersteigerte Künstlichkeit dar, die aber bewusst angestrebt wird. Die abgehaltenen Schlagabtausche erinnern stark an Tom & Jerry oder mehr noch an Itchy & Scratchy.

Denn hier fließt das Blut nicht einfach nur in Strömen, sondern spritzt in hohem Bogen an sämtliche Zimmerwände. Garniert werden die Eskapaden mit kreativen Einfällen wie fiesen Röntgenaufnahmen, die man so bisher eher aus Videospielen der Sniper Elite– oder Mortal Kombat-Reihe kennt, oder der zweckentfremdeten Verwendung einer Bohrmaschine.
Der Film ist per se kein dauerfeuerndes Splatterspektakel. Vielmehr dienen die Gewaltakte in ihrem punktuellen Einsatz der wahnwitzigen Stimmung. Die daraus resultierenden Situationen sind in ihrer Absurdität immer wieder einen Lacher wert. Da steht also schon mal jemand nach direktem Flintentreffer in den Brustkorb mit selbig zerfetztem monologisierend in der Stube, bis er aus den Latschen kippt.
Unterstützt wird der wilde Ritt von abwechslungsreicher musikalischer Gestaltung. Von flotten elektronischen Beats, über Klassik und sogar Western-Themen halten hier so manche Genres Einzug. Letztere finden sogar in klassischen Duell-Sequenzen mit Mexican Standoff-Zügen Anwendung und verstärken die künstliche Stimmung umso mehr.

Eigenartig wie einzigartig: Kirill Sokolov
Kirill Sokolov sollte man im Auge behalten – die überstrapazierten Vergleiche mit Quentin Tarantino kann man sich jedoch getrost schenken. Nur weil jemand in der Lage ist, ein gewaltig und gewalttätig ausuferndes Kammerspiel zu inszenieren, muss nicht in jeder Kritik ein Vergleich zu Tarantino gezogen werden. Sicherlich wird es Schlimmeres für Sokolov geben, als mit dem amerikanischen Publikumsmagneten verglichen zu werden, doch diese Vergleiche ersticken jedweden individuellen Charakter Sokolovs im Keim. Ein treffenderes Äquivalent käme dabei mit Yukihiko Tsutsumis Cat Fight-Kracher 2LDK aus dem fernöstlichen Japan.
Unser Fazit zu Why Don’t You Just Die!
Wem also die immer gleichen Action-Klopper, Thriller oder uninspirierten Horror-Neuerscheinungen auf den Geist gehen, dagegen aber nicht auf stilsichere Inszenierung, Witz und eine ordentliche Portion Drastik verzichten möchte, der kann sich für etwa 90 Minuten von Kirill Sokolov auf einen aberwitzigen und twistreichen Ritt entführen lassen. Umgesetzt wurde dieses Kleinod von Film übrigens mit einem geschätzten Budget von gerade einmal knapp 600.000€.
сука!
Why Don’t You Just Die! erscheint am 27. März 2020 auf Blu-ray und DVD im Handel. Zusätzlich veröffentlicht Pierrot le Fou ein Mediabook der hauseigenen Uncut-Reihe (mittlerweile die Nummer 19). Neben Booklet sind u.a. ein russisches Schimpfwörterbuch und ein Poster enthalten.
Tobi ist bereits gute 7 Jahre an Bord und teilt so fast 20% seiner Lebenszeit mit Filmtoast. Wie es ursprünglich dazu kam ist so simpel wie naheliegend. Tobi hatte unregelmäßig auf Seiten wie Schnittberichte Reviews zu Filmen verfasst und kam über diverse facebooksche Filmgruppen und –diskussionen in Berührung mit dem damaligen Team von Filmtoast (die Älteren erinnern sich: noch unter dem Namen Movicfreakz) und wurde daraufhin Teil dessen.
Thematisch ist er aufgeschlossen, seine feste Heimat hat er jedoch im Horrorfilm gefunden, da für ihn kein anderes Genre solch eine breite Variation an Themen und Spielarten zulässt. Kontroverser Ekelschocker, verstörender Psychothriller oder Elevated Horror – fast alles ist gern gesehen, auch wenn er zugeben muss, dass er einen Sweet Spot für blutrünstig erzählte Geschichten besitzt.
Tobi geht zum Lachen jedoch nicht (nur) in den blutverschmierten Keller, sein Herz schlägt unter anderem bei Helge Schneider, dänischem schwarzen Humor oder den Disyneyfilmen seiner Kindheit höher.
Kinogänge vollzieht er am liebsten im städtischen Programmkino, zum Leidwesen seiner filmisch weniger affinen Freunde, meidet er große Kinoketten wie der Teufel das Weihwasser. Am liebsten geht er seiner Filmleidenschaft jedoch in den eigenen vier Wänden nach, um den viel zitierten Pile of Shame seiner physischen Filmsammlung abzuarbeiten.
Tobi lebt in Sachsen-Anhalt, ist beruflich in einer stationären außerklinischen Intensivpflege verankert und hat mit der Begeisterung zum Film und dem Schreiben darüber den für sich perfekten Ausgleich zum oftmals stressigen Arbeitsalltag gefunden.

