Eric ist seit längerer Zeit die erste Serienproduktion mit Sherlock-Star Benedict Cumberbatch. Überzeugt das, was den Superstar von diesem Psychothriller-Projekt überzeugt hat, nun auch das Netflix-Publikum?

Darum geht’s in Eric
Eric, der neue bewegende Thriller von Abi Morgan, handelt von der verzweifelten Suche eines Vaters nach seinem neunjährigen Sohn, der im New York der 1980er-Jahre eines Morgens auf dem Schulweg verschwindet. Nach dem Verlust seines Sohns Edgar ist Vincent, der erfolgreiche Puppenspieler und Schöpfer einer beliebten Kinderfernsehserie, am Boden zerstört und wird immer unberechenbarer. Er kämpft mit seinem schlechten Gewissen und macht sich Vorwürfe. In seiner Not klammert er sich an Zeichnungen seines Sohnes, die eine blaue Monsterpuppe namens Eric zeigen. Vincent ist überzeugt, dass er Edgar zurückbekommt, wenn er es schafft, die Puppe Eric auf die Fernsehbildschirme zu bringen. Mit seinem zunehmend zerstörerischen Verhalten verschreckt er seine Familie, seine Kolleg*innen und selbst die Polizei, die ihm nur helfen will. Eric, das Produkt seiner Wahnvorstellungen, wird für ihn zum einzigen Verbündeten bei seiner Mission, seinen Sohn wieder nach Hause zu holen.
Spoilerfreie Kritik zu Eric
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der ganzen Staffel der Miniserie, die Netflix en bloc am Starttag veröffentlicht. Ob sich auf Basis des Gesamteindrucks ein Blick lohnt, erfahrt ihr bei uns ohne Spoiler zu Handlungsdetails.
Ein Psychothriller…
Bereits schnell macht uns die Miniserie klar – aber nicht auf zu plakative Weise -, dass hier nicht eine Geschichte zu erwarten ist, bei der ein Verbrechen eine grundsolide Familie in ihren Grundfesten erschüttert, sondern hier lediglich die Entführung des Kindes die Probleme nach außen bringt und zuspitzt, die teils schon vor sich hin köchelten. Doch nicht nur Vincent, die Cumberbatch-Figur, ist ein wahrlich kaputter Charakter. Auch seine Gattin, gespielt von Gaby Hoffmann, hatte offensichtlich schon vor dem Verlust ihres Sohnes psychische Baustellen, die nun um einiges konkreter und größer wurden. Das ganze Milieu, in dem Eric verortet ist, ist ein Moloch, ein Sündenpfuhl, in dem auch die Polizei entweder nur Schadenbegrenzung betreiben kann oder gar selbst mehr Teil des Problems als der Lösung ist.
Wir befinden uns im New York des Jahres 1985, AIDS ist im Aufkeimen, Homosexualität schwerst diffamiert und auch der alltägliche Rassismus ist nicht zu übersehen. In dieser Realität ist Vincent auf den ersten Blick als Teil einer Kindersendung mit Puppenspielern eher fernab des Schmutzes, der Unterwelt und der Probleme – und trotzdem ist schnell klar, dass er ganz gewaltige Laster mit sich herumschleppt: Alkoholismus, Wahnvorstellungen, unkontrollierte Impulse. Dies lässt er an seinem Sohn, seinen Kollegen und seiner Frau aus, sodass er als sein Sohn dann verschwindet zum einen selbst zum Verdächtigen wird und zum anderen sich auch eigens dafür verantwortlich sieht.
…der anspruchsvollen Sorte
Aus diesem psychisch höchstbedenklichen Cocktail in Vincents Kopf entspringt schon am Ende der Pilotfolge der titelgebende imaginäre Begleiter Eric, der wiederum als Manifestation all dessen verstanden werden kann, was Vincent allein nicht auf die Reihe kriegt. Das alles was allein in diesem Zusammenhang gezeigt wird, ist komplex genug, um reichlich Interpretationsspielraum zu eröffnen. Und somit ist die Grundlage bereitet, um einen Psychothriller der besonderen Sorte zu servieren, wenn denn nun alle Zutaten in der richtigen Menge ihren Weg ins Rezept gefunden haben…
Viele Problemherde für eine Miniserie
Wie gesagt hat nicht nur Vincent Probleme allerorten: Auch der Ermittler, gespielt von McKinley Belcher III, muss an verschiedenen Fronten kämpfen – und dann auch noch Edgar, den Sohn von Vincent und Cassie, finden. Cassie selbst hat eine Affäre, geht dann mit dem Verlust ihres Kindes auch ganz anders um als ihr Gatte und knüpft dann noch eine Verbindung zur Mutter eines anderen verschwundenen Jungen. Dann gibt es noch die politische Ebene, die ebenfalls von Folge zu Folge weiter in den Mittelpunkt rückt: Entscheider mit Dreck am Stecken, Obdachlose, die irgendwie auch eine Rolle spielen und Seilschaften bei der Polizei, die bei den Ermittlungen für Stolpersteine sorgen. Es ist sehr viel, was uns Eric in einem extrem dichten, temporeichen Drehbuch vorsetzt und es fordert vollste Aufmerksamkeit.
Stellenweise hat man dadurch womöglich das Gefühl, dass der Entführungsfall gar nicht der zentrale Konflikt ist, sondern dass es um noch etwas Weitreichenderes geht. Ob dies sich am Ende bestätigt, sei hier natürlich nicht verraten. Dennoch muss man sich schon auf die vielen Ebenen, die hier von Bedeutung sind, einlassen und darf nicht einen klassischen Krimi mit Psychothriller-Elementen erwarten. Eric ist viel mehr – vielleicht zu viel – aber für mich war es ein rundum herausragendes Seherlebnis, eben weil man sich so viel traut zu vermengen und anzusprechen, vor allem aber auch vieles davon auf mehrdimensionale Weise abzubilden.
Cumberbatch und Hoffmann in Emmy-Form
Benedict Cumberbatch ist durch seine namhaften Rollen wohl einer der bekanntesten Darsteller unserer Zeit. Doch sein Ruhm kommt nicht von ungefähr, wie er hier eindrucksvoll unter Beweis stellt. Der alkoholkranke Vater ohne Impulskontrolle mit dem imaginären Freund, der an Sully aus der Monster AG erinnert, ist eine weitere extrem anspruchsvolle Rolle, die der Brite mit Bravour meistert, ohne dabei ins Karikatureske abzudriften. Die Wut, die Verzweiflung, sogar die beängstigend gut gespielte Unsicherheit im Verhältnis zu seinem Vater, gespielt von John Dorman – all dies ist so on Point und überzeugend, dass man in keiner Szene an einen anderen seiner zahlreichen Alter Egos denken muss, sondern von Beginn an diesen neuen Charakter in all seinen Dimensionen vernimmt.
Doch ihm an die Seite hat man mit Gaby Hoffmann eine ebenfalls herausragende Charakterdarstellerin gestellt, die die andere Form der Bewältigung absolut herausragend verkörpert. Die Gespräche zwischen den beiden Protagonisten sind voller Schmerz, Wut, aber auch erkennbare Liebe für den Sohn, der das Band zwischen ihnen noch am Leben hält. Hier sieht man womöglich zwei Performances, die in der kommenden Award-Saison bedacht werden könnten – und in meinen Augen eigentlich müssen!
Und auch der Rest ist top
Dreh- und Angelpunkt sind die beiden Ehepartner mit ihren einnehmenden Leistungen, aber auch die ganze Riege an Nebenfiguren ist überzeugend und alles andere als reine Staffage. Dan Fogler beispielsweise hat einige wirklich erinnerungswürdige Szenen und zu aller vorderst ist auch McKinley Belcher III als zerbrechlicher Kommissar, der manchmal wie ein Fremdkörper wirkt, was aber absolut intendiert sein dürfte, zu loben. Die ganze Ermittlungskomponente in der Story funktioniert sehr gut, vielleicht gerade weil sie nicht der absolute Schwerpunkt ist, sondern ein Teil in einem komplexen Ganzen. Die Serie sieht überdies gut aus und ist kinoreif ausgeleuchtet und gefilmt, sodass man hier eher mit Genre-Konkurrenten von BBC oder HBO mithalten kann und deutlich über dem inzwischen verrufenen Netflix-Look rangiert.
Die Verwendung von Songs aus der damaligen Zeit ist stimmig und sorgt in den entsprechenden Szenen dafür, die Stimmung noch intensiver zu machen. Und der Zynismus, der immer wieder nach vorne dringt, in Verbindung mit der ein oder anderen Absurdität und Schwarzhumorigkeit sorgt am Ende für eine Tonalität, die sich schwer greifen lässt und wohl am ehesten an David Finchers Gone Girl erinnert. Wer diesen Psychothriller mochte, der wird hier am ehesten Anklang finden. Ansonsten ist Eric aber unabhängig vom Krimigeschmack all denjenigen ans Herz zu legen, die außergewöhnliche Kriminalgeschichten mit mehr Anspruch auf der Subebene als Komplexität im eigentlichen Fall mögen.

© Netflix
Unser Fazit zu Eric
Eric ist eine rundum gelungene Kurzserie mit außergewöhnlicher Prämisse, unglaublich starken Darstellenden und kinoreifen Produktionsqualitäten. Kurzum kann man sagen, dass Netflix hier ein heißes Eisen für die kommenden Emmys und Co. im Feuer hat. Sechs Folgen lang ist Hochspannung geboten, Gänsehaut garantiert und am Ende ungläubiges Kopfschütteln vorprogrammiert. Ein Highlight des bisherigen Serienjahres.
Eric: die Miniserie ist ab dem 30. Mai 2024 bei Netflix abrufbar.
Daheim in Oberfranken und in nahezu allen Film- und Serienfranchises, schaut Jan mehr als noch als gesund bezeichnet werden kann. Gäbe es nicht schon den Begriff Serienjunkie, er hätte bei über 200 Staffeln im Jahr für ihn erfunden werden müssen. Doch nicht nur das reine Konsumieren macht ihm Spaß, das Schreiben und Sprechen über das Gesehene ist mindestens eine genauso große Passion. Und so ist er inzwischen knapp fünf Jahre bei Filmtoast an Bord und darf hier seine Sucht, ähm Leidenschaft, ausleben. Die wird insbesondere von hochwertigen HBO- und Apple-Serien immer wieder aufs Neue angefacht und jeder Kinobesuch hält die Flamme am Lodern. Es fällt Jan, wie ihr euch bestimmt wegen der Masse an Geschautem vorstellen könnt, schwer, Lieblingsfilme, -serien oder auch nur Genres einzugrenzen. Er ist und bleibt offen für alles, von A wie Anime bis Z wie Zack Snyder.