Filmtoast.de

El conde

Mit El conde verdreht der chilenische Meister Pablo Larraín erneut die historischen Fakten und verpackt wütende Politsatire in ein schwarzweißes Vampir-Gleichnis. In unserer Kritik erfahrt ihr, wie viel Biss das Endprodukt wirklich hat!

El Conde | Official Trailer | Netflix

TitelEl conde
Jahr2023
LandChile
RegiePablo Larraín
DrehbuchPablo Larraín, Guillermo Calderón
GenreKomödie, Horror
DarstellerJaime Vadell, Gloria Münchmeyer, Alfredo Castro, Paula Luchsinger
Länge111 Minuten
FSKab 16 Jahren freigegeben
Verleih Netflix
Augusto Pinochet in Uniform und Pelzmantel
Der grausame Augusto Pinochet wird auch „Der Graf“ genannt. © Netflix

Die Handlung von El conde

Der chilenische General Augusto Pinochet (Jaime Vadell) stirbt im Jahr 2006. Zumindest hat es den Anschein, in Wahrheit handelt es sich bei Pinochet jedoch um einen 250 Jahre alten Vampir, dessen Machthunger nur von der Gier nach Blut übertroffen wird. Nach nunmehr fast drei Jahrhunderten ist der Diktator des Lebens aber überdrüssig geworden und beschließt, nun endgültig dahinzuscheiden. Nicht nur wiegt die politische Schande schwer auf seinen Schultern, auch seine Familie hat es auf ihn abgesehen. Seine Frau Lucía (Gloria Münchmeyer) hat eine Affäre mit dem Butler Fyodor (Alfredo Castro) und die nichtsnutzigen Kinder debattieren lieber über die Sicherung des Erbes als das Schicksal ihres Vaters. Die junge Nonne Carmen (Paula Luchsinger) soll Abhilfe schaffen und wird auf das Anwesen bestellt, um den Nachlass zu regeln. Doch auch sie ist nicht, was sie zu sein scheint …

Geschichte mal anders

Für Pablo Larraín ist das Biopic beileibe kein fremdes Genre. Auf chilenischem Boden drehte er bereits 2016 Neruda, bevor ihm noch im selben Jahr mit Jackie: Die First Lady der internationale Durchbruch gelang. 2021 folgte Spencer, der das Leben von Prinzessin Diana außergewöhnlich aufarbeitete. Hauptdarstellerin Kristen Stewart wurde für den Oscar nominiert, der Film selbst erhielt leider nicht die ihm gebührende Aufmerksamkeit. Alle drei Werke teilen eine Eigenschaft: Anders als in klassischen Biopics beschränkt sich Larraín nicht auf eine bloße Checkliste historischer Daten, sondern zeichnet ein Bild der Person hinter der Ikone. Dabei werden reale Ereignisse teils auch bewusst verfälscht oder mehrdeutig wiedergegeben.

Nun also dreht er El conde für Netflix. Titelfigur Augusto Pinochet breitete schon in vergangenen chilenischen Werken des Regisseurs seine finsteren Flügel aus. Sowohl Tony Manero als auch Post Mortem und No! thematisieren die Diktatur des tyrannischen Grafen, ohne dass er selbst je in Erscheinung getreten wäre. Seine Schandtaten haben dem Land Schäden zugefügt, die nie wieder gutzumachen sind. So reicht es Larraín nicht, das Böse zu vertrotteln, wie einst beispielsweise ein Charlie Chaplin es tat. Der große Diktator wird zu einem buchstäblichen Horrormonster, das die Herzen seiner Opfer verspeist, um sein eigenes Leben zu verlängern.

Einige Nonnen stehen nebeneinander, darunter auch Carmen
Was führt die Nonne Carmen im Schilde? © Netflix

Ein großer Insiderwitz

Die zentrale Metapher von El conde ist dementsprechend so simpel gestrickt, wie sie sich anhört. Einfach zu durchschauen ist der Film dennoch nicht immer. Zwar werden den Zuschauer:innen die wichtigsten Eckdaten der Pinochet-Diktatur durch eine Erzählstimme geschildert, allerdings spürt man an vielen Stellen trotzdem das eigene fehlende Hintergrundwissen. Für Ausländer:innen wird ein zweiter Tab mit Wikipedia Pflicht sein, um auch die letzten spezifischen Anspielungen verstehen zu können. So fühlt sich der Humor in El conde streckenweise doch eher nach Hausaufgabenhilfe an; witziger als die satirische Aufarbeitung sind die gnadenlosen Gewaltorgien, bei denen mit monochrom sprudelndem Blut nicht gespart wird.

Das Hauptproblem liegt allerdings nicht in den erforderten Vorkenntnissen – nichts läge mir ferner, als einen Film dafür zu kritisieren, dem Publikum etwas zuzutrauen -, sondern in der Umsetzung der Politkritik. Im Grunde bietet das Drehbuch inhaltlich nicht viel mehr als seine Prämisse. Es schlägt definitiv über die Stränge und hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Auch Vorhersehbarkeit kann man ihm nur schwerlich vorwerfen. Wer sich beispielsweise fragt, weshalb die Erzählerin als einzige Stimme auf Englisch spricht, wird bei einer bestimmten Enthüllung in der zweiten Hälfte der Laufzeit aus dem Staunen nicht herauskommen. Aber die Ausarbeitung der zentralen Metapher geht nie über ihre bloße Existenz hinaus. Wer die Kurzbeschreibung auf der Netflix-Startseite überfliegt, kennt im Prinzip bereits die vollständige Bandbreite der Satire. Diese ist dadurch nicht weniger treffend oder clever, aber kann in den fast zwei Stunden doch repetitiv wirken.

Blut, Nebel und fliegende Silhouetten

Glücklicherweise verfügt Larraín über ein inszenatorisches Geschick, das manche inhaltlichen Schwächen glattzubügeln vermag. Nicht nur entlockt er erneut dem gesamten Cast gelungene schauspielerische Darbietungen, auch die Bild- und Tongestaltung in El conde ist erneut auffallend stark. Nachdem der Regisseur mit Kameramann Sergio Armstrong in Post Mortem eine Meisterprüfung in Sachen Framing ablegte und in Spencer Claire Mathon gemäldereife Bilder schießen ließ, holt er nun Indie-Legende Edward Lachman mit ins Boot. Das Ergebnis ist ein schwarzweißes Juwel, dem nicht einmal der digital flachgebügelte Netflix-Look etwas anhaben kann.

Augusto Pinochet schwebt aus seinem Anwesen in die Luft
Der Vampir bricht auf einen seiner nächtlichen Beutezüge auf. © Netflix

Herausragend sind dabei insbesondere die diversen Flugszenen, untermalt von wundervoller Musik, die durch die präzisen und geschickten Aufnahmen fast schon hypnotisch inszeniert werden. Larraín und Lachman bedienen sich genretypischer visueller Elemente wie dichtem Nebel und natürlich spritzendem Blut, die durch die herausgedrehten Farben besonders unwirklich herausstechen. Gruselig ist El conde zu keiner Sekunde, das möchte er aber auch überhaupt nicht sein. Seine Version von Horror ist konstant absurd und hemmungslos übertrieben. Der reale Schrecken dahinter wird dann deutlich, wenn den Zuschauer:innen vorm Fernseher das Lachen im Halse stecken bleibt.

Unser Fazit zu El conde

Nach Pablo Larraíns meisterlichem Dreifachstreich von Jackie: Die First Lady, Ema und Spencer lag die Messlatte für sein kommendes Werk vermutlich unerreichbar hoch. El conde kann die Erwartungen nur teilweise erfüllen, bleibt aber schlussendlich wohl eher Geheimtipp als Volltreffer. Die Geschmäcker, die er vollständig erreichen wird, dürften lediglich ultraspezifische sein. Sehenswert ist der Film allemal. Beim Filmfestival in Venedig erhielten Larraín und Co-Autor Guillermo Calderón den Preis für das beste Drehbuch – gewagt, aber nicht unverständlich. Schade, dass ein derartig bildgewaltiges Werk auf den Netflix-Servern versauern muss, statt seine verdiente mehrmonatige Kinoauswertung zu erhalten. Auf den Handybildschirmen gelangweilter Pendler:innen wird von der künstlerisch hochwertigen Montage und Inszenierung wohl nicht viel übrigbleiben. Bleibt nur zu hoffen, dass der Regisseur mit seinem nächsten Werk nicht nur qualitativ zu seiner Form zurückfindet.

El conde erschien am 15. September 2023 auf Netflix!

All unsere Kritiken und auch viele andere Videos findest du auch auf unserem YouTube-Kanal.

Unsere Wertung:

 

Jackie - Die First Lady [Blu-ray]
Kundenbewertungen
Jackie - Die First Lady [Blu-ray]*
von Universum Film GmbH
Du sparst: € 4,93 Prime  Preis: € 8,99 Jetzt auf Amazon kaufen* Preis inkl. MwSt., zzgl. Versandkosten
Zuletzt aktualisiert am 11. November 2022 um 2:01 . Wir weisen darauf hin, dass sich hier angezeigte Preise inzwischen geändert haben können. Alle Angaben ohne Gewähr.
Spencer
Kundenbewertungen
Spencer*
von DCM (Im Vertrieb von LEONINE)
Prime  Preis: € 9,99 Jetzt auf Amazon kaufen* Preis inkl. MwSt., zzgl. Versandkosten
Zuletzt aktualisiert am 17. September 2023 um 23:30 . Wir weisen darauf hin, dass sich hier angezeigte Preise inzwischen geändert haben können. Alle Angaben ohne Gewähr.

© Netflix

Kommentar hinzufügen