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Red Rooms

In Sitges und Toronto machte Red Rooms auf sich aufmerksam, nun kommt der Genrefilm zu den Fantasy Filmfest White Nights 2024. Darf man sich auf Spannung und Nervenkitzel freuen oder waren die Erwartungen vergebens?

RED ROOMS Trailer | TIFF 2023

TitelRed Rooms
Jahr2023
LandKanada
RegiePascal Plante
DrehbuchPascal Plante
GenreDrama, Thriller
DarstellerJuliette Gariépy, Laurie Babin, Elisabeth Locas, Natalie Tannous, Maxwell McCabe-Lokos
Länge118 Minuten
FSKab 16 Jahren freigegeben
VerleihH264
Poster zu Red Rooms
Poster zu Red Rooms © H264

Die offiziell Inhaltsangabe von Red Rooms

Kim (16), Justine (14) und Camille (13) sind tot. Entführt, gefoltert, sexuell missbraucht und zerstückelt fanden sie ihr bestialisches Ende vor laufender Kamera im Darknet. Monate später steht ihr mutmaßlicher Peiniger vor Gericht: Mit stoischer Miene und hinter Sicherheitsglas verfolgt Ludovic Chevalier die verstörende Beweisführung der Staatsanwältin und blickt den traumatisierten Angehörigen ins Gesicht. Sein Verteidiger plädiert auf „nicht schuldig“. Mit im Saal beobachten zwei Frauen den Prozess gegen den „Dämon von Rosemont“ mit fragwürdiger Faszination: Clémentine hat sich in Chevalier verliebt, verteidigt ihn mit Feuereifer auch vor der Kamera. Noch tiefer verliert sich Model und Hackerin Kelly-Anne in ihrer Obsession für das, was in Chevaliers „Red Rooms“ vor sich gegangen sein muss.

Ein Gerichtsfall menschlicher Abgründe

Red Rooms steigt dort ein, wo für gewöhnlich Kriminalgeschichten enden: Der Täter ist überführt, die Staatsanwaltschaft hat fast alle Beweise zusammen, um ihn bis an sein Lebensende weg zu sperren. Doch da, wo beim Krimi der Abspann einsetzt, beginnen Vertreter eines Genres, das in Sachen Spannung dem oftmals in kaum etwas nachsteht, obwohl die vermeintlichen Nervenkitzel-Momente schon passiert sind: Gerichtsthriller üben eine Faszination auf das Publikum aus, trotz steriler Umgebung, Fachjargon und Schachtelsätzen und Kammerspiel-Flair – und dieser neue Vertreter aus Kanada ist ein bedrückendes, aber gleichzeitig außergewöhnliches Beispiel, weshalb dieser Gattung seit Jahrzehnten immer wieder Klassiker gelingen.

Ein Faktor, der das Subgenre trotz oberflächlich begrenzten Inszenierungsmöglichkeiten so abwechslungsreich macht, ist die Erzählperspektive. Da gibt es Geschichten aus Tätersicht, durch die Augen eines der Juristen, aus Opferperspektive, durch die Kameralinse eines Journalisten, an der Seite der Geschworenen…

Aber einen Fall über die Sicht zweier Personen zu erzählen, die einen mutmaßlichen Mörder gegen jeden gesunden Menschenverstand verteidigen? Das ist etwas, das allein schon mal Aufmerksamkeit erregt. Das verändert fundamental den Schwerpunkt auch des Zuschauerinteresses, denn recht schnell ist die Motivation des Angeklagten eigentlich egal, auch das Urteil zweitrangig. Die brennenden Fragen drehen sich um die Psyche der beiden Frauen, die das Monster trotz (oder wegen?) dessen Taten obsessiv verfolgen.

Kopfkino der grausamsten Sorte

Das Gerichtsdrama ist eine Aneinanderreihung von Anklagen, Zeugenaussagen und emotionalen Ausbrüchen von Angehörigen – der Täter verbringt die ganze Zeit hinter der Glasscheibe, blickt ins Leere, spricht kein einziges Wort. Die Rekonstruktion der Taten passiert vor dem inneren Auge. Zwar werden auch Nachrichtenausschnitte verwendet, doch wirklich gezeigt oder ausgesprochen werden die Grausamkeiten nicht. Hart ist nicht das, was hier gezeigt wird, sondern, dass es eben nicht gezeigt wird und somit dem Kopfkino freier Lauf gelassen wird.

Parallel dazu verfolgt Red Rooms die Ermittlung bzw. die Suche der etwas anderen Sorte. Clémentine und Kelly-Anne bahnen sich den virtuellen Weg durch die nebulösen Tiefen des Darknet, was hier in einer Form des Desktop-Thrillers erzählt wird, die etwas an Searching erinnert. Das lässt viele Leerstellen, beantwortet nicht alle moralischen Fragen für den Rezipienten und sorgt vor allem dafür, dass man sich noch lange nach dem Ende über den Film austauschen will. Die Perspektive der beiden Protagonistinnen ist natürlich verzerrt und verstörend, doch die Einordnung darüber, wie verquer sie die Berichterstattung und die Anschuldigungen beurteilen, zeichnet doch ein Psychogram mit Erklärungsansätzen.

Eine junge Frau im Rotlicht im Porträt mit Kopfhörern
Red Rooms © H264

Kalte Bilder, rohe Emotionen

Red Rooms setzt bei der Optik auf ein ziemlich entsättigtes, winterlich kühles Color Grading, das Trostlosigkeit, emotionale Kälte verstärkt. Ein ziemlich negatives Menschenbild gepackt in eine Parabel auf den modernen Umgang mit Medien, die Sensationsgeilheit im Kontrast zur Sensationssättigung. Ein Kommentar ist aber der Film von Pascal Plante nicht – zum Glück – denn er lässt die Abscheulichkeiten doch roh auf seine Zuschauerschaft los, die Einordnung entsteht durch deren Sozialisierung und Moralgefühl.

Der Kontrast zwischen Gerichtsaal und Darknet, so meint man wohl zu Beginn, könnte größer nicht sein: Der Raum des Gesetzes hier, die absolute Gesetzlosigkeit dort. Doch entsteht die Beurteilung dessen, was moralisch zu verurteilen ist durch Richtersprüche oder darf letztlich das Individuum von diesen Normgedanken abweichen? Auf allgemeingültige Antworten darf man bei diesem Film nicht hoffen, viel mehr geht es genau um die Abweichler von der Norm und die Akzeptanz des Bösen in der Welt. Eine Beobachtung, die niederschmetternd sein kann.

Unser Fazit zu Red Rooms

Der kanadische Festivalbeitrag bei den diesjährigen White Nights ist ein eigenwilliger. Dominieren doch sonst hier Genrefilme der harten Bilder, des klaren Unterhaltungsfokus und der Kurzweiligkeit, sticht Red Rooms durch seine sterile Darreichung und die Aufgaben, die er an sein Publikum stellt, deutlich heraus. Spannend ist der Gerichts-Thriller aber trotzdem oder gerade deswegen über aller Maßen. Es ist ein Film über das Böse, der aber das offensichtliche Böse in einer Glasbox wegsperrt und keine Silbe äußern lässt. Es ist ein Film über die Faszination des Bösen. Schauspielerisch herausragend, kühl bebildert und im Kontrast mit einem Score versehen, der erstmal wie ein Fremdkörper daherkommt, aber damit exakt ins Gesamtkonzept passt. Diese zwei Stunden Film hallen lange nach, laden zum Diskurs ein und lassen niemanden kalt.

Red Rooms läuft im Programm der diesjährigen White Nights des Fantasy Filmfest. Einen deutschen Kino- und Heimkino-Start hat der Film noch nicht.

Unsere Wertung:

 

 

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© H264

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