Jahrzehntelang hörte einen niemand im Weltall schreien – auf der Leinwand. Jetzt geht die altehrwürdige Alien-Reihe den überfälligen Weg ins Seriengeschäft. Der Showrunner lässt die Erwartungen überschäumen, aber bricht die Qualität von Alien: Earth nun auch durch die Brustdecke wie einst der Chestburster im Urfilm?
Darum geht’s in Alien: Earth
Als ein mysteriöses Raumschiff auf der Erde bruchlandet, machen eine junge Frau und eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von Soldaten in der Sci-Fi-Horrorserie Alien: Earth eine folgenschwere Entdeckung, die sie vor die größte Bedrohung des Planeten stellt. Während Mitglieder des Unfallrettungsteams in den Trümmern nach Überlebenden suchen, begegnen ihnen mysteriöse raubtierhafte Lebensformen, die viel furchteinflößender sind, als sie es sich jemals hätten vorstellen können. Das Rettungsteam muss um sein Überleben kämpfen und steht vor der Frage, wie sie mit dieser Entdeckung umgehen. Denn diese Entscheidung könnte den Planet Erde, wie sie ihn kennen, für immer verändern.
***Dieser Artikel beschäftigt sich mit der ganzen ersten Staffel der Serie Alien: Earth. Größtenteils wird zwar auf Spoiler verzichtet, aber es empfiehlt sich dennoch erst die Show zu schauen und dann das Recap zu lesen***
Prequel und Sequel unisono
1979 legte Ridley Scott mit dem ersten Alien der Grundstein für das, was seither im Sci-Fi-Horror-Bereich der eindeutige Primus ist. Manifestierte James Cameron mit Aliens dann diesen Status, konnten auch die beiden kritisch rezipierten Neunzigerjahre-Einträge von David Fincher und Jean-Pierre Jeunet nichts daran ändern, dass ein Vierteiler mit Kultfaktor entstand, bei dem jeder einzelne Part ein wenig andere Genre-Einschläge mit sich brachte. Blenden wir die beiden Alien vs. Predator-Filme einmal aus, dauerte es dann 15 weitere Jahre, ehe Scott selbst mit Prometheus und dann 2017 mit Alien: Covenant die Vorgeschichte des Erstlings lieferte.
Der Ur-Alien spielte im Jahr 2122, Prometheus dann 2089 und Covenant 2104. In die Lücke zwischen Alien und dem 2179 platzierten Aliens platzierte im vergangenen Jahr Evil-Dead-Regisseur Fede Alvarez Alien: Romulus, der 2142 angelegt wurde. Es gibt also noch reichlich Zeitfenster zu füllen – und hier setzt nun Alien: Earth an. Die Serie von Fargo-Showrunner Noah Hawley steigt im Jahr 2120 ein und somit zwei Jahre bevor die Ereignisse des Scott-Auftakts passierten, gleichzeitig aber eben auch 18 Jahre nach Covenant: Die Serie erfüllt dementsprechend einerseits die Funktion eines Prequels vom allerersten Film, andererseits aber auch die einer Fortsetzung der Leinwand-Vorgeschichte, aber nun eben im TV-Serien-Format.
Best of Both Worlds
Und bereits der erste Eindruck beweist auf überragende Weise, wie sinnvoll so ein „Lückenfehler“ sein kann, wenn der Macher weiß, wie man das beste der beiden Äras der Reihe unter einen Hut bekommt: Alien: Earth verbindet das klaustrophobische Gefühl und den Horror von Alien und greift dabei extrem packend die wissenschaftlichen Ansätze von Prometheus wieder auf, der in dem Film und dessen Fortsetzung leider zugunsten von hanebüchenen Drehbuchentscheidungen am Ende vollkommen vernachlässigt wurden. Hier geht es einerseits um die brutale, rohe und unbändige Gewalt der Kreaturen aus dem All und andererseits um eine dystopische Vision einer Welt, die von gigantischen Konglomeraten regiert wird, die sich allesamt um die Vorherrschaft vor allem auch auf dem wissenschaftlichen Sektor und der Expansion in die Weiten des Alls bekriegen.

Erzählt wird das Ganze aus der Perspektive verschiedener Akteure an unterschiedlichen Positionen der „Nahrungskette“. Dieser multiperspektivische Ansatz ist eindeutig das Serien-artigste Element des Projekts, denn vieles hätte sonst auch den Weg in ein neues Leinwand-Abenteuer finden können. Aber auch hier vereint die neue Serie das beste von zwei Welten: Die Geschichte per se ist seriell, doch was den Aufwand betrifft, der hier hinein fließt, kann man locker mit Kinoprojekten mithalten. Kurzum kann direkt an dieser Stelle schon festgehalten werden: allein was Look and Feel und die Alien-typische Atmosphäre angeht, ist Alien: Earth wohl die prestigeträchtigste Disney Plus-Produktion in diesem Jahr – vielleicht sogar (mit Ausnahme von Shogun) insgesamt bislang!
Zwischen Ghost in the Shell und Haribo-Werbung
Ein wesentlicher Strang dreht sich um die Gruppe von Kindern, deren Verstand aufgrund ihrer tödlichen Krankheiten in erwachsene Körper verpflanzt wird unter der Anleitung des jungen Prodigy-Chefs Boy Kavalier (Samuel Blenkin). Das hat zur Folge, dass äußerlich erwachsene Soldatenfiguren sich immer wieder wahnsinnig kindlich verhalten. Eine enorme Herausforderung für die Darstellenden, denn schnell hätte dieses Element lächerlich werden können. Und auch wenn hier nun schon immer wieder die Erinnerungen an die aktuelle Haribo-Werbung mit den Erwachsenen mit den Kinderstimmen aufploppen, so schaffen es die Schauspielerinnen und Schauspieler allesamt richtig gut, diesen Zwiespalt nachvollziehbar rüberzubringen – und damit direkt auch einen der moralischen Kernkonflikte herauszumeißeln: Was macht einen Menschen zum Menschen – ein Thema, das Ridley Scott in seinen Werken seit jeher beschäftigt und sein Nachfolger Hawley nun hier mit Bravour und viel Fingerspitzengefühl weiterspielt.
Hierauf zahlt auch die ganze Aufdröselung diverser Typen von Androiden ein, die hier teils in der Interaktion gegenseitig die Grenzen zwischen Mensch und Maschine immer mehr ausloten. Ist man nur Mensch, wenn man Freunde hat? Wie entbehrlich werden Körper, wenn sich der Geist davon abspalten lässt? Was ist ein echter Mensch noch wert, wenn die künstlichen oder technisch optimierten Varianten in allen Belangen überlegen sind? Das erinnert bestimmt nicht von ungefähr auch an die Animes rund um Ghost in the Shell oder Evangelion, denn Noah Hawley hat schon mehrfach bewiesen in der zeitgenössischen Popkultur sämtlicher Kulturerdteile mehr als nur kundig zu sein.
Ein Spiel mit Anspannung, Geduld – und Magen
Alien: Earth nimmt sich immer wieder viel Zeit – zu viel vielleicht für Leute, die an Film-Tempo gewöhnt sind. Doch nur so gelingt es Hawley den überaus ambivalenten und komplexen Charakteren gerecht zu werden. Nach der ersten Folge, die eine sensationelle Verneigung vor dem Ur-Alien kreiert und einer zweiten Episode, die in der Absturzstelle eine klaustrophobische Hatz mit starken Action-Momenten zelebriert, nimmt man in den beiden folgenden Episoden mit der Verlagerung auf die Prodigy-Insel das Tempo deutlich raus und beleuchtet das Geschwisterverhältnis, die Hintergründe der jungen Synths und auch gibt man der Gefahr aus dem All eine Verschnaufpause, um im Anschluss umso krasser wieder zurückzuschlagen. In diesen Episoden denkt Hawley auch über das vorher schon Bekannte hinaus und ergänzt das Franchise um Ansätze, die nicht allen schmecken werden, aber meiner Meinung nach als Rechtfertigung, überhaupt noch eine Serie in diesem Kosmos zu brauchen, dienen.
Ein (Alien-)Film in der (Alien-)Serie
Besonders spannend ist die Figur des Androiden Morrow, der mit einem der Kinder kommuniziert, dessen Situation für Manipulation ausnutzt und so eine lange Zeit undurchsichtige Agenda verfolgt. Schon in den ersten Momenten der Serie wurde der Absturz des Weyland-Yutani-Schiffs mit der gefährlichen Ladung aus dessen Perspektive bruchstückartig gezeigt. In der fünften Folgen jedoch wird alles, was zu diesem „Unfall“ geführt hat, nochmal in aller Ausführlichkeit gezeigt. Diese Episode ist mitunter eine Standalone-Folge und funktioniert allein schon exzellent als Quasi-Alien-Film. Exzellent wird da die Atmosphäre vom Ur-Teil rekreiert, mit einer Anspannung, die ihresgleichen sucht.
Allein in dieser Folge merkt man, wie sehr Hawley versteht, was die Ingredienzen sind, die Alien so stark machen. Das Spiel mit der Paranoia des Publikums, kurze Gewaltexplosionen nach nervenzehrendem Aufbau, ein gewisses Ekel-Moment und die Tatsache, dass wirklich kein Charakter sicher davor ist, den verschiedenen Bedrohungen als nächstes zum Opfer zu fallen. Schauspielerisch kann in diesem Setting Babou Ceesay sein ganzes Können offenbaren.
Zwischen Spektakel, Ekel und Suspense
Nach der vorläufigen Highlight-Folge 5 nimmt sich Alien: Earth wieder den Geschehnissen auf der Erde an und spinnt in genüsslich langsamem Tempo die verschiedenen Fäden auf der Nimmerland-Insel von Boy Cavalier weiter. Mehr und mehr wird klar, dass es in der Serie auch um das Thema Kommunikation geht – denn die „Monster“, wie die Kinder die Kreaturen nennen, an denen in den Laboren experimentiert wird, scheinen einerseits zu versuchen mit Wendy eine Verbindung aufzubauen und andererseits auch mehr als bislang angenommen untereinander verbunden zu sein. Damit wird der ganzen Alien-Mythologie immer mehr Hintergründiges hinzugefügt, was zum Glück das Gegenteil von Entmystifizierung bewirkt. Vielmehr will man noch mehr wissen, womit die kindlichen Protagonisten die perfekten Stellvertreter für uns als Zuschauer sind, da sie ebenfalls von Neugier und Naivität bestimmt werden.

Zwar war die vorherige Folge schon in Bezug auf das Spektakel herausstechend, aber auch Folge 6 hat wieder optische und spannungstechnische Ausrufezeichen zu setzen. So gibt es mit weiteren neuen Kreaturen – den episodentitelgebenden Riesefliegen – Zuwachs im Skurrilitätenkabinett, außerdem macht die Serie einmal mehr eindrücklich klar, dass hier auch nicht zimperlich mit dem Ensemble umgegangen wird. Und man merkt trotz des teils quälend-ausdauernden Tempos zu jeder Zeit eine Dringlichkeit und entscheidende Fortschritte in der Hauptstory und bei der Weiterentwicklung der Figuren.
Entscheidende Twists vor dem großen Finale
Es hatte sich ja schon im Verlauf angedeutet, wie speziell das Verhältnis von Wendy zum gefangenen Xenomorph ist, aber in der vorletzten Episode dieser Staffel von Alien: Earth bekommen wir die visuell eindrucksvolle Bestätigung: Die Schwester von Joe Hermit kann also nicht nur mit den Wesen kommunizieren, sie kann es sogar aktiv beherrschen – und setzt es nun auf der Flucht aus den Laboren von Prodigy ein als ihre kleine Gruppe von den Söldnern rund um Morrow eingekesselt werden. Für die Alien-Reihe ist dies ein wirklich bahnbrechender Moment, der vieles, wenn nicht gar alles, was man über die außerirdischen Spezies zu glauben vermochte, infrage stellt. Hier ist nun tatsächlich noch die Frage vor dem großen Finale, ob nach diesem Twist innerhalb der Lore dem Serienmacher die Landung im Staffelfinale gelingen wird.
Neben dem, was Wendy und ihrem Bruder in dieser Episode passiert, spielt sich auch ein weiterer Twist-reicher Plot rund um Synth Kirsh ab, bei dem Timothy Olyphant (Justified) endlich seine ganze Gravitas ausspielen kann. Game of Thrones war einst dafür berüchtigt, die großen Kracher in den vorletzten Folgen seiner Staffeln aufzuziehen. Mal sehen, ob die FX-Show nun in ähnlichen Pfaden wandelt – oder ob hier Folge 8 nochmal alles auf den Kopf zu stellen vermag.
Wenn Wendy irgendwann erwachsen wird
Tatsächlich ist die Finalfolge von Staffel 1 von Alien:Earth nicht ganz so actionreich wie die vorletzte, aber trotzdem unglaublich intensiv, weil man erneut den Suspense-Horror nochmals hochschraubt, indem quasi alles auf der Insel durch Chaos auf die Probe gestellt wird. Während sich Morrow schnell befreien und dabei Kirsh ausschalten kann, droht allerorten neues und altes Ungemach: Yutanis Leute sind dabei, auf Neverland aufzuschlagen, Boy will Joe Hermit in eine Falle locken, was Wendy selbstverständlich verhindern will und die große Entwicklung beim Machtgefälle zwischen Prodigy und den Lost Kids stellt schon früh die Weichen für das, was dann in Staffel 2 auf das Publikum wartet.
Die letzten Momente, die Konfrontation zwischen den Versuchsobjekten, die sich über ihre Schöpfer erheben, abermals untermalt von einem fantastischen Track, unterstreichen den Anspruch Hawleys, hier nicht nur eine Miniserie sondern ein mindestens zwei- wahrscheinlich sogar mehrstaffeliges Projekt zu begleiten. Denn wenn das Schlussbild auf dem angriffslustigen Gesicht von Wendy verharrt und man sich deren Progression über diese ersten acht Folgen nochmal vor Augen führt, dann wird einem mit einem Mal klar, wie viel Potenzial in Alien: Earth noch steckt, das in Teilen zwar schon angerissen wurde, aber bei dem auch für die kommenden Jahre noch Luft nach oben ist, wenn die Crew die kleineren Pacing-Issues in den Griff bekommt und noch mehr in die Tiefe zu gehen bereit ist, was die existenzphilosophischen Ansätzen des Alien-Universums angeht.
© FX
Unser Fazit zu Staffel 1 von Alien: Earth
Ambitioniert, selbstbewusst inszeniert und audiovisuell über jeden Zweifel erhaben, überzeugt Staffel 1 von Alien: Earth über weite Strecken ohne Mangel. Nur im Mittelteil hätte der Fuß etwas mehr auf dem Gas bleiben dürfen. Doch dafür entschädigt die Highlightfolge 5 mit der besten Stunde Alien seit mehreren Jahren. Schon jetzt ist klar, dass dieses Projekt für FX zusammen mit Shōgun die Zukunft der kommenden Jahre bei der qualitativ allerhöchsten Fernsehunterhaltung bildet - wenn man sich der Stärken besinnt und in kommenden Staffeln weiterhin den Mut hat, Noah Hawley nach Gutdünken schalten und walten zu lassen.
Daheim in Oberfranken und in nahezu allen Film- und Serienfranchises, schaut Jan mehr als noch als gesund bezeichnet werden kann. Gäbe es nicht schon den Begriff Serienjunkie, er hätte bei über 200 Staffeln im Jahr für ihn erfunden werden müssen. Doch nicht nur das reine Konsumieren macht ihm Spaß, das Schreiben und Sprechen über das Gesehene ist mindestens eine genauso große Passion. Und so ist er inzwischen knapp fünf Jahre bei Filmtoast an Bord und darf hier seine Sucht, ähm Leidenschaft, ausleben. Die wird insbesondere von hochwertigen HBO- und Apple-Serien immer wieder aufs Neue angefacht und jeder Kinobesuch hält die Flamme am Lodern. Es fällt Jan, wie ihr euch bestimmt wegen der Masse an Geschautem vorstellen könnt, schwer, Lieblingsfilme, -serien oder auch nur Genres einzugrenzen. Er ist und bleibt offen für alles, von A wie Anime bis Z wie Zack Snyder.

