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Familienausflug in Shoplifters - Familienbande @ 2018 Wild Bunch Germany

Shoplifters – Familienbande

Der japanische Film Shoplifters – Familienbande konnte 2018 bei den angesehenen Filmfestspielen von Cannes sowohl Kritiker als auch Publikum begeistern. Letztendlich konnte er sogar die Goldene Palme gewinnen und ist sowohl bei den Golden Globes als auch den diesjährigen Oscars als Bester Fremdsprachiger Film nominiert. Ob der Film tatsächlich so fantastisch ist, wie es sein Ruf vermuten lässt, erfahrt ihr im Folgenden…

Shoplifters - Trailer (deutsch/german; FSK 0)

TitelShoplifters – Familienbande
Jahr2018
ProduktionslandJapan
RegieHirokazu Koreeda
DrehbuchHirokazu Koreeda
GenreDrama
DarstellerKirin Kiki, Lily Franky, Sakura Andö, Mayu Matsuoka, Jyo Kairi, Miyu Sasaki, Sösuke Ikematsu, Chizuru Ikewaki
Länge121 Minuten
FSKab 12 Jahren freigegeben
VerleihWild Bunch
Das Originalkinoplakat zu Shoplifters - Familienbande @ 2018 Wild Bunch Germany
Das Originalkinoplakat zu Shoplifters – Familienbande @ 2018 Wild Bunch Germany

Worum geht es in Shoplifters – Familienbande?

Osamu und seine Frau Nobuyo leben in ärmlichen Verhältnissen und halten sich mit schlecht bezahlten Jobs gerade so über Wasser. Gemeinsam mit dem etwa 10 Jahre alten Sohn Shota und Nobuyos deutlich jüngerer Schwester Aki leben sie bei der Großmutter Hatsue auf engstem Raum in einer überfüllten Wohnung in Tokio. Osamu hat seine eigenen Vorstellungen von Recht und Unrecht und empfindet Ladendiebstähle als völlig legitim. Weil er sich auf diesem Gebiet als Fachmann versteht, gibt er diese Fertigkeiten an seinen Sohn weiter. Eines abends finden die beiden schließlich die schweigsame 5-jährige Yuri einsam und hungrig im Regen vor. Aus einem Akt der Nächstenliebe heraus nimmt Osamu sie bei sich auf und versucht sie als Teil der Familie zu integrieren. Als Yuri schließlich polizeilich gesucht wird, stellt sich die Frage, welche Familie besser geeignet ist – die arme, aber liebevolle oder ihre wohlhabendere, aber rücksichtslose?

Nobuyo und Osamu nehmen die kleine Yuri auf in Shoplifters - Familienbande @ 2018 Wild Bunch Germany
Nobuyo und Osamu nehmen die kleine Yuri auf in Shoplifters – Familienbande @ 2018 Wild Bunch Germany

Sozialwissenschaften in Filmform

Shoplifters – Familienbande dreht sich nahezu ausschließlich um eine allgemeine, existenzielle und fast schon philosophische Frage: Was macht eine Familie aus? Dabei verkommt der Streifen niemals zu einer rührseligen Huldigung an Nächstenliebe und der Bedeutung der Blutsverwandtschaft, wie man es vielleicht in einem Film aus Hollywood erwarten würde. Selten erlebt man eine so facettenreiche und vielschichtige Antwort auf diese Frage, wie in diesem Werk von Regisseur Hirokazu Koreeda. Dabei ist der perspektivenreiche Blick vor allem eines: Ehrlich! Der meist durch utopische Vorstellungen verschwommene Blick auf die soziale Institution Familie ist nur die halbe Wahrheit. So stellt der Film kritische Fragen wie: Wird eine Frau bereits durch die Geburt eines Kindes zur Mutter? Inwieweit ist die Familie zur Absicherung der älteren Generation verantwortlich? Wird eine Familie vor allem durch Gelder und finanzielle Absicherung zusammengehalten?

Um sich diesen Fragen auch nur ansatzweise zu nähern, beleuchtet der Streifen Themen wie körperliche Bedürfnisse (sowohl sexuelle Verlangen, als auch körperliche Hilfsbedürftigkeit im Alter oder die Bedürfnisse nach Nahrung), die Relevanz einer Vorbildfunktion für Kinder, aber auch welche Bedeutung sie für die Eltern hat, finanzielle Abhängigkeiten, Verantwortung und Verantwortungsbereitschaft, den Wunsch nach Anerkennung, Neid, der Umgang mit Verlust oder dem Gedenken Verstorbener, um nur einige der aufgegriffenen Felder zu nennen. Um all dies überhaupt ansprechen zu können, bedient sich der Film einer äußerst geschickten Erzählstruktur. Als neutrale Beobachtende verfolgt das Publikum das Geschehen. Keine Figur steht im Zentrum. Man hat die Möglichkeit sich mal in einen Charakter hineinzuversetzen und mal in einen anderen.

Trotz aller Umstände eine glückliche Familie - oder doch nicht? in Shoplifters - Familienbande @ 2018 Wild Bunch Germany
Trotz aller Umstände eine glückliche Familie – oder doch nicht? in Shoplifters – Familienbande @ 2018 Wild Bunch Germany

Verschiedene Betrachtungsweisen

Passenderweise vertritt jeder Protagonist oder jede Protagonistin eine Perspektive, aus der heraus man die Familie betrachten könnte. Die Großmutter steht selbstverständlich für die ältere Generation, wohingegen Osamu und Nobuyo die Eltern sind, denen die Hauptverantwortung obliegt. Aki ist an der Schwelle zum Erwachsenwerden und versucht sich langsam von der Familie zu lösen, indem sie eigenes Geld verdient und eventuell sogar den Wunsch verspürt, eine eigene Familie aufzubauen. Shota ist der Junge, der zwar schon die meisten Dinge versteht, aber in manchen Momenten eben doch noch ein Kind ist. Zudem muss er damit zurechtkommen, ein jüngeres Geschwisterkind zu bekommen. Yuri ist die kindliche Naivität in Person. Sie ist ein nahezu unbeschriebenes Blatt und saugt alles um sie herum auf wie ein Schwamm, wohingegen Shota bereits beginnt, einige Dinge in Frage zu stellen.

Aki ist sich unsicher, was aus ihr werden soll in Shoplifters -Familienbande @ 2018 Wild Bunch Germany
Aki ist sich unsicher, was aus ihr werden soll in Shoplifters -Familienbande @ 2018 Wild Bunch Germany

Jede Menge Distanz in Shoplifters – Familienbande?

Um die Möglichkeit einer Beobachtung, bei der sich die Zuschauer und Zuschauerinnen aussuchen können, welcher Figur sie gerade folgen, zu ermöglichen, muss die Inszenierung in den Hintergrund treten. Koreeda, der auch das Drehbuch schrieb und sich für den Schnitt verantwortlich zeichnet, lässt seinen Kameramann Kondo Ryuto das Geschehen in vielen Totalen oder aus dem scheinbaren Hintergrund heraus filmen, sodass man alles sehen kann. Die Beobachterperspektive wird somit auch bildlich verstärkt. Nur manchmal schneidet Koreeda zu einer näheren Einstellung, um das Publikum auf etwas Bestimmtes aufmerksam zu machen. In seiner Machart erinnert der Film daher streckenweise an einen Dokumentarfilm. Sie ist hier sehr bewusst eingesetzt und erfüllt effektvoll den beabsichtigten Zweck, denn tatsächlich fühlt man sich nach etwa einer Stunde Laufzeit, als würde man die Familie Shibata in und auswendig kennen.

Familienausflug in Shoplifters - Familienbande @ 2018 Wild Bunch Germany
Familienausflug in Shoplifters – Familienbande @ 2018 Wild Bunch Germany

Wird das Publikum auch durch die langsame Erzählweise und die Darstellung von Szenen, in denen oberflächlich nichts passiert, anfänglich auf eine harte Probe gestellt, so ist gerade diese Herangehensweise notwendig, um eben jenes Vertrautheitsgefühl zu entwickeln und die Figuren mit all ihren Macken, Ecken und Kanten ins Herz zu schließen. Unzulänglichkeiten werden nicht als Verfehlungen, sondern als verständliche Gegebenheiten akzeptiert. Allgemein wird der Film durch seine nicht wertende Perspektive wohl mehr Fragen aufwerfen, als sie beantworten. Es geht dem Regisseur vielmehr darum, den Blick zu schärfen und dem verwässerten Bild der Familie, die ausschließlich aus Liebe und Zuneigung besteht, neue Konturen zu verpassen. Darauf muss man sich natürlich einlassen können, und wer ein spannungsreiches und bombastisches Kinoerlebnis haben möchte, ist hier definitiv an der falschen Adresse.

Yuri und ihr neuer großer Bruder Shota in Shoplifters - Familienbande @ 2018 Wild Bunch Germany
Yuri und ihr neuer großer Bruder Shota in Shoplifters – Familienbande @ 2018 Wild Bunch Germany

Eine neue Welt ohne Effekthascherei

Zu dem Realismus der dargestellten Szenarien trägt maßgeblich das, in seiner Detailverliebtheit beeindruckende, Szenenbild bei. Die mit allerlei Zeug zugestellte Wohnung stellt ein perfektes Setting dar und wirkt aus der Perspektive der Kinder schon fast wie eine marodes und etwas dreckiges Wunderland. Überhaupt ist es erstaunlich, wie das Thema Armut, welches an sich omnipräsent ist, absolut unspektakulär behandelt wird. Die Gegebenheiten werden wie von der Familie selbst als völlig normal empfunden. In diesem Sinne gelingt eine herausragende Translation zwischen der kultivierten Welt und den ärmlichen Verhältnissen, welche kaum wahrgenommen wird und sich somit besonders flüssig in das Gesamtgeschehen einfügt.

Regisseur und Drehbuchautor Hirokazu Koreeda am Set von Shoplifters -Familienbande @ 2018 Wild Bunch Germany
Regisseur und Drehbuchautor Hirokazu Koreeda am Set von Shoplifters -Familienbande @ 2018 Wild Bunch Germany

Unerwartete Wendungen in einem Drama?

Ebenso erstaunlich ist die Wendung, welche Shoplifters – Familienbande im letzten Drittel vollzieht. Mit dieser hat wohl niemand zu Beginn gerechnet, und doch ist sie angesichts dessen, was der Film erzählen will, nur allzu konsequent, da sie für Gesprächsstoff sorgt und somit zu Diskussionen anregt. Besonders in diesen finalen Momenten kann der authentische, hierzulande eher unbekannte Cast, seine Stärken ausspielen. Sämtlichen Darstellern und Darstellerinnen nimmt man ihre Figuren absolut ab, auch wenn die deutsche Synchronisation in diesem Fall nicht die stärkste ist und nicht immer die Gefühle pointiert vermitteln kann. Speziell vor den Darstellungen der beiden Kinder kann man nur den Hut ziehen.

Shota flieht nach einem Ladendiebstahl in Shoplifters - Familienbande @ 2018 Wild Bunch Germany
Shota flieht nach einem Ladendiebstahl in Shoplifters – Familienbande @ 2018 Wild Bunch Germany

Selbst die Musik von Haruomi Hosono bleibt extrem hintergründig. Einzig der Main Title sticht in seiner Stilistik hervor. Er wirkt wunderbar verspielt und spiegelt äußerst passend das Agieren der Familie im Verborgenen wieder. Besonders in den Szenen der Ladendiebstähle, wird hier eine fast schon humoristische Atmosphäre geschaffen.

Osamu gibt seinem Sohn Handzeichen, um den Ladendiebstahl zu koordinieren in Shoplifters - Familienbande @ 2018 Wild Bunch Germany
Osamu gibt seinem Sohn Handzeichen, um den Ladendiebstahl zu koordinieren in Shoplifters – Familienbande @ 2018 Wild Bunch Germany

Fazit

Alles in allem liefert Shoplifters – Familienbande einen so ehrlichen und facettenreichen Blick auf das soziale Gefüge Familie, wie es vielleicht noch nie im Kino zu sehen war. Das Publikum kann in vielen Momenten gerührt, aber auch nachdenklich gestimmt werden. Die ruhige und melancholische Erzählweise wird nicht für jeden oder jede etwas sein, aber ist dennoch notwendig, damit einem die Familie so vertraut vorkommt. Leicht lassen sich die hier angesprochenen Themen auf unsere eigenen Familien übertragen und beweisen sich somit als universell zugänglich. Lässt man sich also darauf ein, entführt einen der Film in eine eigene Welt und ermöglicht eine Kinoerlebnis, welches man nicht so schnell wieder vergisst. In jedem anderen Jahr wäre dieser Film vermutlich der große Favorit auf den Oscar als Bester Fremdsprachiger Film. Der audio-visuellen Wucht von Roma dürfte der Streifen in diesem Jahr allerdings unterliegen.

Unsere Wertung:

 

 

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