Timothée Chalamet konnte sich in letzter Zeit mit fantastischen Filmen wie Call Me By Your Name oder Lady Bird als neuer Nachwuchsschauspieler Hollywoods etablieren. Somit scheint die Figur eines drogensüchtigen Jugendlichen in Beautiful Boy eine angemessene Herausforderung, für das junge Talent zu sein. Ob er dieser gewachsen ist, erfahrt ihr im Folgenden:
No data available.Worum geht es in Beautiful Boy?
David Sheff ist ein Vater, der seinen Sohn Nic über alles liebt. Sowohl in seinem Beruf als Journalist, als auch in der Beziehung mit seiner neuen Ehefrau und ihren zwei Kindern fühlt er sich ausgesprochen wohl. Allerdings konsumiert Nic mehr und mehr harte Drogen, wie Methamphetamin, woraufhin eine Sucht folgt, die das Leben der wohlsituierten Familie vor ungeahnte Probleme stellt. Daraufhin folgt ein jahrelanges Ringen um Nics Wohlergehen, unter dem die einst so gute Vater-Sohn-Beziehung zu zerbrechen droht.
Eine authentische, wahre Geschichte
Die Hintergrundgeschichte, auf welcher das Drehbuch basiert, ist tatsächlich einzigartig. Nic schrieb, teilweise unter Drogeneinfluss, teils in Phasen, in denen er clean war, seine Memoiren unter dem Titel „Tweak: Growing Up On Methamphetamins“. Zeitgleich schrieb Vater David den Artikel „My Addicted Son“ für das New York Times Magazine. Nach dem Erfolg dieses authentischen Beitrags, folgten auch seine Memoiren „Beautiful Boy: A Father´s Journey Through His Son´s Addiction“. Über die jeweiligen Werke gelang es den beiden Männern sich wieder einander anzunähern. Nach Jahren des Konflikts und Ratlosigkeit, konnten schließlich die geschriebenen Texte so viel mehr ausdrücken, als es jeder Dialog in dieser Zeit gekonnt hätte. Daraufhin begannen beide erstmalig die Sicht des jeweils anderen zu verstehen.
Man merkt der Verfilmung dieser Memoiren an, dass die Drehbuchautoren Luke Davies, der selbst einmal drogenabhängig war, und Felix Van Groeningen dem Originalmaterial treu bleiben wollten. Die Geschichte wird über einen langen Zeitraum erzählt und schildert detailliert sowohl Hoch- als auch Tiefpunkte der Beziehung. Dabei werden zahlreiche Anekdoten der Sheff-Familie in die Handlung eingewoben, sodass man mit zunehmender Laufzeit mehr und mehr Zugang zu dieser entwickeln kann. Daher spürt man, dass die Filmschaffenden für ihre Geschichte brennen und sie möglichst authentisch zum Publikum transportieren wollen.
Schwierigkeiten bei der Drehbuchadaption
Dennoch ist die Vereinigung der zwei literarischen Vorlagen nicht immer gelungen. Gerade in ihrem Wunsch nach Authentizität scheinen die Drehbuchautoren, eine zu langwierige Geschichte erzählen zu wollen. So hat das Publikum selten den Überblick, wie viel Zeit bisher in der Geschichte vergangen ist. Durch die zahlreichen Zeitsprünge fällt es schwer, eine handlungstechnische Struktur zu erkennen. Höhepunkte oder eine Hinführung zu einem Finale mit endgültigen Statement lassen sich leider nur erahnen, wodurch der Film bisweilen zu gemächlich vor sich hinfließt und gelegentlich zur Langatmigkeit neigt. Besonders die Rückblenden wirken erzwungen und zusammenhangslos.
Die Übertragung der spannenden Geschichte in eine cineastische Handlung verpasst der Film nicht zuletzt, weil viele der arg rührseligen Momente zu gekünstelt wirken. Wenn in zahlreichen Rückblenden Vater und Sohn gemeinsam Surfen gehen und der Junge daraufhin droht zu ertrinken, kann sich das Publikum angesichts dieser sehr platten, unnötigen und zu offensichtlichen Metapher für die Sorgen, den Sohn zu verlieren, schon mal kurz an den Kopf fassen. Die mehrfachen Zusicherungen der beiden, dass sie einander alles bedeuten, mögen zwar den wahren Ereignissen und den Erzählungen der Sheffs entsprechen, drohen in Bildform aber leider, dem Kitsch zum Opfer zu fallen. Auch einige der Gespräche verlieren ihre Glaubwürdigkeit, weil sich Sohn und Vater zu klar und prägnant äußern. Dadurch sitzt man in manchen Szenen im Publikum und nimmt dem Dialog einfach nicht ab, dass er so einmal stattgefunden haben könnte. Somit wirkt es ein wenig gestellt.
Wirkungsvolle Momente
Trotz dieser etwas holprigen Erzählweise, kann der Film auch mit hervorragenden Ideen punkten. So ist es zum Beispiel äußerst angenehm, dass er sich nicht in der Darstellung von Drogenexzessen à la Trainspotting verliert, sondern sich vielmehr auf die Vater-Sohn-Beziehung fokussiert. Das ist eine willkommene Abwechslung und stellt eine neue Betrachtungsweise dar, die man so vielleicht noch nie im Kino erleben durfte.
Besonders die gemeinsame Vorliebe der beiden Protagonisten für das Schreiben kommt in einigen Momenten stimmungsvoll zur Geltung. Wenn David eines Abends das Notizbuch von Nic durchstöbert und schockiert die Aufzeichnungen betrachtet, dann ist das der mit Abstand stimmungsvollste Moment im gesamten Film und bleibt dem Zuschauer oder der Zuschauerin nachhaltig im Gedächtnis. Weiterhin wirkt er besonders intensiv, weil an dieser Stelle der sonst zu rührselige Soundtrack, der in seinen schwächsten Momenten einem Til Schweiger Film entsprungen sein könnte, deutlich atmosphärischere Klänge annimmt. Immer dann, wenn der Film es schafft, die beiden Perspektiven der Protagonisten miteinander zu verknüpfen, können ergreifende Szenen entstehen. Leider geschieht das nur sehr selten.
Zwei grandiose Darsteller
Für den belgischen Regisseur Felix van Groeningen handelt es sich um die erste Hollywood Produktion. Mit dem ebenfalls sehr gefühlvollen Drama The Broken Circle konnte er sich in der Art-House-Community bereits einen Namen machen. Nun ließ sich der Filmemacher vom Originalmaterial und der Familie Sheff so begeistern, dass er sich dieses Stoffes annahm und insbesondere mit Timothée Chalamet und Steve Carrell gleich zwei hochkarätige Charakterdarsteller an Bord holen konnte. Speziell ersterer liefert eine herausragende Leistung ab. Daher ist die Nicht-Nominierung bei den diesjährigen Academy Award absolut unverständlich und sorgt in Kritikerkreisen für Empörung. Es ist sehr schade, dass er hier übergangen wurde, denn er spielt den hin- und hergerissenen Jugendlichen ausgesprochen differenziert und mit großem Einfühlungsvermögen.
Auch Steve Carell zeigt einmal mehr, was für ein großartiger Darsteller er ist. In der Rolle des sich sorgenden und ratlosen Vaters überzeugt er vollends und stellt einen großen Symphathieträger dar. Besonders diese beiden Schauspieler schaffen es, Beautiful Boy Leben einzuhauchen und das Publikum zu berühren. Ebenso spielt der restliche Cast solide im Hintergrund.
Eine schlichte Inszenierung
Kameramann Ruben Immens vermag es sowohl Timothée Chalamet als auch Steve Carell, genügend Raum für ihr Spiel zu geben. Er bleibt lange an den Reaktionen und Mimiken der Darsteller und lässt somit auch dem Publikum die Ruhe, sich auf die feinsten Nuancen konzentrieren zu können. Dahingegen werden die Rückblenden werden leider mit einem gewohnten Farbschleier überzogen, was der auch sonst leicht kitschigen Atmosphäre in diesen Szenen nicht unbedingt zuträglich ist. Darüber hinaus weist die Inszenierung von van Groeningen leider wenig Raffinesse auf, sondern verlässt sich stark auf seine Handlung und die emotionalen Dialoge. Wären diese geschickter konzipiert, würde sich diese Herangehensweise als wirkungsvoll erweisen. So bleibt sie leider relativ uneindrucksvoll, ohne allerdings wirklich negativ aufzufallen. In nur wenigen Momenten deutet Van Groeningen sein handwerkliches Können an.
Fazit
Abschließend bleibt festzuhalten, dass es sich bei Beautiful Boy um eine bemerkenswerte Geschichte handelt. Leider gelingt es dem von Brad Pitt produzierten Film nicht ganz, die literarische Vorlage in eine filmische Version umzuwandeln. Eine umständliche und zu langwierige Erzählweise vermischt sich mit einer unspektakulären, teils rührseligen Inszenierung. Auch der Soundtrack unterstützt diese Wirkung leider noch zusätzlich. Dennoch gelingt es insbesondere den hervorragenden Darstellern und der klaren Fokussierung von Regisseur van Groeningen auf die Vater-Sohn-Beziehung, einige emotionale Momente zu schaffen. Außerdem macht der Film Lust, sich die Memoiren der Familie Sheff zu Gemüte zu führen. Daher ist er in seinem Genre als einfühlsames Drama mit einer ungewohnten Perspektive auf einen drogenabhängigen Jugendlichen noch ganz gut geworden und liefert Erwartbares, aber leider auch nichts darüber hinaus.
Unsere Wertung:
Der Film läuft seit dem 24. Januar in den deutschen Kinos.