Die Einwohner eines abgelegenen Bergdorfes freuen sich über Die Rückkehr des Filmvorführers. Sollten wir in den Jubelreigen einstimmen?

Die Inhaltsangabe von Die Rückkehr des Filmvorführers
Nach dem Unfalltod seines Sohnes möchte Samid die Kinokultur in seinem aserbaidschanischen Bergdorf wieder aufleben lassen. Seinen früheren Job als Filmvorführer hat er über 30 Jahre nicht ausgeübt und muss nun zum einen technische Hürden überwinden und zum anderen die Offiziellen des Dorfes von seinem Projekt überzeugen. Unterstützung erfährt er dabei von seinem Urenkel Ayaz, einem jungen Filmemacher.
Totgesagte leben länger
Der Untergang des Kinos wird schon lange prophezeit. Erst durch die Einführung des Fernsehens, dann durch Videokassetten und nun aufgrund der Streamingdienste. Obwohl die Besucherzahlen kontinuierlich sinken, lässt sich das Medium nicht unterkriegen. Es gibt immer noch Filme, die Rekordgewinne erzielen und selbst Wiederaufführungen von alten Klassikern sind beliebt, auch wenn man diese oft „kostenlos“ bei Streaming-Anbietern schauen kann. Warum uns die große Leinwand so fasziniert und warum Kino nicht sterben darf, zeigt uns Regisseur und Autor Orkhan Aghazadeh in Die Rückkehr des Filmvorführers eindrucksvoll.
Über den Dingen
Hoch oben in den Bergen von Aserbaidschan ist die Zeit vor 40 Jahren stehengeblieben. Die Menschen leben von der Landwirtschaft, kämpfen mit der Witterung und haben neben Wasser und Strom kaum technische Hilfsmittel für ihre harte Arbeit. Es gibt zwar Satellitenfernsehen, aber für ein bisschen W-LAN-Empfang muss mühsam ein Berg erklommen werden. Dieses Setting bietet sich für einen Liebesbrief ans Kino auf den ersten Blick gar nicht an, aber dieser Eindruck täuscht. Vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion hatte Kino in der Region einen hohen Stellenwert. Es wurde zwar auch für Propagandazwecke genutzt, war aber in erster Linie ein sozialer Ankerpunkt für die Menschen in der Umgebung. Filmvorführer hatten dementsprechend ein hohes Ansehen und waren wichtige Männer in einer Dorfgemeinschaft.
Diese Zeiten möchte der ehemalige Filmvorführer Samid wieder aufleben lassen. Wir erfahren seinen Werdegang – passenderweise durch eine Anreihung von Einzelbildern – und staunen über sein Vorhaben. Die Teile für seinen defekten Projektor aus alten UDSSR-Beständen und einen 35 mm-Film zu bekommen, ist in diesem Teil der Welt ein utopisches Unterfangen. Samids Lebensumfeld und seine Persönlichkeit – gekoppelt mit der Passion, die ihn den Kampf gegen Windmühlen aufnehmen lässt – machen diese Reise in die aserbaidschanische Bergwelt für Cineasten sehenswert, vor allem, weil wir keiner rein fiktiven Erzählung folgen. Man kann es kaum glauben, aber dieser Mikrokosmos bietet sich auch noch dazu an, kinorelevante Themen – wie z.B. technischen Fortschritt oder Synchronisation– mit einfließen zu lassen, ohne den Fokus zu verlieren oder zu spezifisch zu sein.
Vereinigung zweier Genres
Die Rückkehr des Filmvorführers ist in erster Linie eine Dokumentation, aber die Inszenierung orientiert sich am Spielfilm. Es gibt Spannungsbögen, Charakterentwicklung und einzelne Elemente aus der Heldenreise. Vermutlich wurde die Wirklichkeit für künstlerische bzw. narrative Zwecke an der ein oder anderen Stelle zurechtgebogen, aber Kino hat schon immer Fiktion und Wahrheit vermischt, um seine angestrebte Wirkung zu erzielen. Es ist dementsprechend angemessen und sogar erforderlich, dass eine Dokumentation über einen Filmvorführer diese Praktiken anwendet. Die realen Dorfbewohner „spielen“ vielleicht eine etwas andere Version ihrer selbst, verstellen sich aber grundsätzlich nicht. Dies würde vermutlich dem Publikum auffallen. So ist das Leuchten in den Augen von Samids Freunden echt, wenn sie von ihren vergangenen Kinoerlebnissen schwärmen oder die Trauer bei den ehemaligen Kollegen von Samids Sohn, wenn sie von seinem tragischen Unfalltod sprechen.
Diese Authentizität überträgt die Gefühle von der Leinwand auf die Zuschauer, ohne den Einsatz von Emotionen verstärkender Musik. Freude und Leid hat in der Realität keinen Soundtrack.Wie in einer guten Doku üblich, lernen wir nebenbei noch etwas über Land und Leute. Dabei überrascht vor allem die Nüchternheit, mit denen die Menschen an Probleme herangehen und die große Kluft zwischen Tradition und Moderne.

Rahmenhandlung
Die Kamera unterstützt in Die Rückkehr des Filmvorführers den Mix aus Dokumentation und Spielfilm, indem sie ästhetisch durchkomponierte Bilder erzeugt, die beiden Genres zugutekommen. Nur mit Hilfe des natürlichen Lichts werden in wunderschönen Aufnahmen die Handlung wie auch die Essenz der Umgebung eingefangen. Allein diese Bilder sagen einiges über das Land und die Leute aus, ohne dass es eines erklärenden Kommentars bedarf. Da wir uns beim Filmschauen im beobachtenden Zustand befinden, wird dies von der Kamera treffend nachgeahmt. Die Aufnahmen sind so statisch wie der Blick auf Leinwand und das Geschehen wird häufig durch Fenster und Türen – als äquivalent zur Kinoleinwand – einfangen, sodass eine zusätzliche Metaebene entsteht.
Unser Fazit zu Die Rückkehr des Filmvorführers
Die Rückkehr des Filmvorführers ist in erster Linie eine wunderschön bebilderte Erzählung über den ehemaligen Filmvorführer Samid und seinen Urenkel Ayaz, die trotz aller Widrigkeiten ihrer Leidenschaft frönen, um Menschen für kurze Zeit in eine andere Welt zu entführen. Dabei ist ihr Enthusiasmus so ansteckend, dass man lieber hoch oben in den aserbaidschanischen Bergen ein schlecht synchronisiertes, zensiertes und unvollständiges indisches Liebes-Drama in technisch mangelhafter Qualität sehen möchte als einen modernen Blockbuster im klimatisierten IMAX. Die prägendsten Kinomomente passieren halt selten in Multiplexen. Zugleich sehen wir auch eine wunderbare Liebeserklärung an die Magie des Kinos, einen Appell, das Medium nicht sterben zu lassen und einen Dank an alle Enthusiasten, die es aufrechterhalten.
Die Rückkehr des Filmvorführers ist ab dem 31. Oktober 2024 im Kino zu sehen.
© Déjà-vu-Film
Stefan ist in der Nähe von Wolfenbüttel beheimatet, von Beruf Lehrer und arbeitet seit Mai 2024 bei Filmtoast mit. Seit seiner Kindheit ist er in Filme vernarrt. Seine Eltern haben ihn dankenswerterweise an Comics und Disneyfilme herangeführt. Bis zu seinem 8. Lebensjahr war es für ihn nicht nachvollziehbar, wie man Realfilme schauen kann. Aber nach der Sichtung des Films Police Academy und natürlich der Star Wars- Filme hat sich das geändert. Natürlich waren in seiner Kindheit auch die Supernasen, die Otto- und Didifilme Pflichtprogramm, denn worüber sollte man sonst mit den Anderen reden? Deswegen mag er einige dieser Filme bis heute und schämt sich nicht dafür.
Stefan setzt sich für die Erhaltung der Filmwirtschaft ein. Sei es durch Kinobesuche, DVD/ Blu- Ray/ UHD oder Streaming, je nach dem welches Medium ihm geeignet erscheint. Sein filmisches Spektrum und seine Filmsammlung hat sich dadurch in den letzten 30 Jahren deutlich erweitert, weswegen er sich nicht auf ein Lieblingsgenre festlegen kann.

