Éric Falardeau lässt mit Thanatomorphose einen Film mit so einfachem wie drastischen Inhalt auf die Filmwelt los: Eine Frau verwest bei lebendigem Leib. Nur ein plakativer Schocker oder doch tiefgründiges Psychodrama?
Die Handlung von Thanatomorphose
Laura (Kayden Rose) fristet ein trostloses Dasein: Beruflich erfolg- und inspirationslos, innerlich ausgebrannt, sowie in einer lieblosen und toxischen Beziehung gefangen. Eines Morgens entdeckt sie an ihrem Arm einen kleinen blauen Fleck, dem sie wenig Beachtung schenkt. Doch je mehr Zeit vergeht, desto stärker wird ihr Körper in Mitleidenschaft gezogen. Aus großflächigen Hämatomen werden Nekrosen, ihre Haare beginnen auszufallen oder ein Fingernagel löst sich. Doch dies ist erst der Anfang: Laura beginnt sprichwörtlich bei lebendigem Leib zu verrotten…
Die Atmosphäre
Doch nun genug des Vorgeplänkels, widmen wir uns dem eigentlichen Film. Gemeinhin wird Thanatomorphose als Schocker vermarktet. Allein die Inhaltsangabe lässt erahnen, dass es hier früher oder später unappetitlich werden wird. Falardeau räumt seiner tragischen Heldin überraschenderweise eine Menge Zeit ein und lässt das Publikum intensiv in deren trostlosen Alltag eintauchen, ehe ihr geschundener Körper der Erkrankung drastisch Tribut zollt.
Dadurch weckt Thanatomorphose eher Erinnerungen an die frühen Werke Buttgereits wie Nekromantik oder Der Todesking, denn an exploitative Gore-Feste eines Ittenbach oder reiner Fetisch-Unterhaltung eines Lucifer Valentine. Zwar spielt sich die Handlung einzig und allein in Lauras spärlich eingerichteter Wohnung ab, dieser Umstand spielt der deprimierenden Handlung allerdings in die Karten. Laura ist innerlich genauso leer wie ihre Bleibe.
Auch sonst geht Falardeau alles andere als subtil vor: Der körperliche Zerfall Lauras stellt unübersehbar ein Spiegelbild ihres emotionalen und seelischen Zustands dar. Ein an der Zimmerdecke befindlicher Wasserfleck beginnt parallel zu Lauras Verwesung zu schimmeln und sich entsprechend zu verändern – und weist sicherlich kaum zufällig die schwer zu übersehende Form einer Vulva auf.
Interessanterweise beginnt Lauras Verfall nicht erst mit dem Film, sondern hat bereits im Vorfeld Einzug gehalten. In einer der ersten Szenen, sieht man schon ihren ersten blauen Fleck am Arm. Erst als die Ausmaße ihres Leidens immer extremer werden, scheint sie dieses richtig wahrzunehmen – und zu genießen. So wie sie es aufgegeben hat, an ein leichteres Leben zu glauben, so hat sie ihren Körper schon lange aufgegeben. Aus den Veränderungen scheint sie gleichermaßen auch eine Art Kraft zu ziehen, schafft sie es so doch endlich, sich ihren einseitigen und triebhaften Männern zu entledigen.
Die Effekte
Symbolträchtiger Unterbau hin, kleinteiliges Psychogramm einer geschundenen Seele her: Natürlich ist der Unique Selling Point schlussendlich die Arbeit der Effektkünstler und Maskenbildner. Das Subgenre der Melting Movies bietet überschaubare Einträge und wer sich für schleimige Zersetzung mittels matschig-handgemachter Effekte begeistern kann, wird wohl hoffnungsvoll jeden Vertreter dieser Nische aufsaugen. Zwar verteilen sich im besprochenen Falle die dargebotenen Effekte eher spärlich über die gesamte Laufzeit, könnten bei magenschwachem Publikum aber dennoch für Verstimmungen sorgen.
Denn beschönigt wird an Lauras Verwesung wenig. Ausgefallene Zähne und Haare, sowie körperliche Deformation kennt man natürlich zu Genüge aus diversen Vertretern des Bodyhorrors (ganz vorn dabei natürlich die Klassiker eines David Cronenberg u. a. Die Fliege). Falardeau geht jedoch noch einen Schritt weiter und lässt uns auch wissen, dass Laura die Kontrolle über die (Schließ)Muskel des Körpers versagt.
Ihre Odyssee endet in einem fiebrigen Finale, welches die junge Frau förmlich skelettieren lässt – dargestellt mit charmanter Stop Motion-Technik. Wenn sich Fleisch von den Knochen schält und die Haut aufzulösen beginnt, jubelt der Genrefan, der Mainstream-Konsument hingegen wendet sich vermutlich angeekelt ab. So viel sei mit einem diabolischen Augenzwinkern vorweggenommen: Thanatomorphose ist definitiv eine jaw dropping experience!
Die Maskenbildner verrichten ihr Werk also gezielt und effektiv. Jede neue Wunde wirkt ekelerregender als die vorhergehende und sorgt für gleichermaßen angewiderte als auch faszinierte Blicke auf den Zersetzungsprozess des menschlichen Körpers.

Die „neue“ Veröffentlichung
Die Busch Media Group versorgt den geneigten Fan zielsicher mit nischigen und/oder älteren Titeln, was durchaus begrüßenswert ist, können so ehemals von Prüfinstitutionen gescholtene Filme einen zweiten Frühling erhalten. 2023 konnte so zum Beispiel der CAT-III-Klassiker Ebola Syndrome seinen deutschen Einstand in geprüfter, aber dennoch völlig ungekürzter Form feiern.
Weniger kultig, aber ebenso speziell in der Auswahl seines Publikums ist der hier besprochene Thanatomorphose. Bei diesem Independent-Film aus dem Jahr 2012 handelt es sich um ein kanadisches Drama mit unübersehbaren Bodyhorror-Einflüssen. Das in Österreich ansässige und auf extremen Special Interest ausgerichtete Label Blacklava Entertainment hat Éric Falardeau Spielfilm bereits 2014 ohne deutschen Ton auf DVD veröffentlicht. Im Bonusmaterial fanden sich damals neben Audiokommentar und Making Of zudem drei Kurzfilme des Regisseurs. Die Busch Media Group bringt den Film nun nicht nur von der FSK geprüft, ohne Schnittauflagen und in HD auf den Markt, sondern hat ihm auch eine deutsche Synchronisation verpasst, deren Qualität allerdings schwankt.
Da Thanatomorphose jedoch eher einsilbig daherkommt, fällt dies nicht weiter ins Gewicht. Wozu ich aktuell jedoch noch keine Aussage treffen kann: Wie es um mögliches Bonusmaterial (beispielsweise den Booklet-Text) und die Bildqualität bestellt ist. Der dieser Rezension zugrunde liegende Screener lief nur in 720p. Generell ist fraglich, ob sich hier durch die Blu-ray ein Mehrwert zur alten DVD zeigen wird, fällt der Film insgesamt sehr dunkel aus, ist spärlich ausgeleuchtet und verrauscht. Sobald ich das „echte“ Rezensionsexemplar in den Händen halte, werde ich die entsprechenden Informationen noch ergänzen.
© Busch Media Group
Unser Fazit zu Thanatomorphose
Thanatomorphose ist langsam, durchzogen von kleinen experimentellen Einlagen, wie Verfremdungseffekten in Bild und Ton oder Traumsequenzen. Lauras Schicksal befindet sich in einer unaufhaltsamen Abwärtsspirale, die in einigen ekelerregend-schleimigen Momenten gipfelt. Wenn man möchte, lässt sich der Schocker aber eben auch als düsteres Kammerspiel und Psychogramm einer zutiefst verletzten und geschundenen Seele lesen. Der banale, schnelle Ekelsnack, als welcher der Film vermarktet wird, ist er aber definitiv nicht. So oder so erfordert der kanadische Streifen Offenheit für Filme aus dem Low Budget-Sektors und damit einhergehenden Einschränkungen. Wer also einen starken Magen sein Eigen nennt, bei durchwachsenem Schauspiel nicht schlagartig die Flucht ergreift und mit filmischen Stoffen fernab des Mainstream etwas anfangen kann, darf gerne einen Blick wagen. Feingeistige und bei offensiver Nacktheit mit Schamesröte gestrafte Filmliebhaber wenden selbigen sicherheitshalber ab.
Thanatomorphose ist seit dem 6. Februar 2025 als ungekürzte und FSK-geprüfte Deutschlandpremiere im Mediabook erhältlich.
Tobi ist bereits gute 7 Jahre an Bord und teilt so fast 20% seiner Lebenszeit mit Filmtoast. Wie es ursprünglich dazu kam ist so simpel wie naheliegend. Tobi hatte unregelmäßig auf Seiten wie Schnittberichte Reviews zu Filmen verfasst und kam über diverse facebooksche Filmgruppen und –diskussionen in Berührung mit dem damaligen Team von Filmtoast (die Älteren erinnern sich: noch unter dem Namen Movicfreakz) und wurde daraufhin Teil dessen.
Thematisch ist er aufgeschlossen, seine feste Heimat hat er jedoch im Horrorfilm gefunden, da für ihn kein anderes Genre solch eine breite Variation an Themen und Spielarten zulässt. Kontroverser Ekelschocker, verstörender Psychothriller oder Elevated Horror – fast alles ist gern gesehen, auch wenn er zugeben muss, dass er einen Sweet Spot für blutrünstig erzählte Geschichten besitzt.
Tobi geht zum Lachen jedoch nicht (nur) in den blutverschmierten Keller, sein Herz schlägt unter anderem bei Helge Schneider, dänischem schwarzen Humor oder den Disyneyfilmen seiner Kindheit höher.
Kinogänge vollzieht er am liebsten im städtischen Programmkino, zum Leidwesen seiner filmisch weniger affinen Freunde, meidet er große Kinoketten wie der Teufel das Weihwasser. Am liebsten geht er seiner Filmleidenschaft jedoch in den eigenen vier Wänden nach, um den viel zitierten Pile of Shame seiner physischen Filmsammlung abzuarbeiten.
Tobi lebt in Sachsen-Anhalt, ist beruflich in einer stationären außerklinischen Intensivpflege verankert und hat mit der Begeisterung zum Film und dem Schreiben darüber den für sich perfekten Ausgleich zum oftmals stressigen Arbeitsalltag gefunden.