Einmal mehr geht es in einer neuen Serien um familieninterne Ränkespiele in einer zerstrittenen Sippschaft mit Geld und Macht. Was macht The Waterfront anders – und ist die Netflix-Serie, die auf wahren Begebenheiten basiert, ein würdiger Ersatz für Succession und Co.?
Darum geht’s in The Waterfront
Jahrzehntelang befand sich Havenport an der Küste North Carolinas fest in den Händen der Familie Buckley. Sie dominierte alles, von der Fischerei in der Gegend bis zur Restaurantszene der Stadt. Doch das Fischerei-Imperium der Familie gerät ins Wanken, als Patriarch Harlan Buckley (Holt McCallany) sich von zwei Herzinfarkten erholen muss und seine Frau Belle (Maria Bello) und sein Sohn Cane (Jake Weary) sich ins kalte Wasser stürzen, um das Familienunternehmen über Wasser zu halten.
Doch als sie die Kontrolle über ihre Versuche verlieren und sich damit in gefährliche Gewässer begeben, übernimmt Harlan wieder das Ruder. Währenddessen hat Bree (Melissa Benoist), die Tochter der Familie, mit ihren eigenen Dämonen zu kämpfen. Die Mutter, der das Sorgerecht für ihren Sohn Diller (Brady Hepner) entzogen wurde, ist dabei, ihre Sucht zu überwinden, und findet sich in einer komplizierten Beziehung wieder, die die Zukunft der Familie langfristig bedrohen könnte.

Klingt verdächtig nach Yellowstone an der Küste – ist es das?
Ja. Genauso könnte man The Waterfront framen – aber auch als Animal Kingdom am anderen Ende Amerikas, weiteren Thronanwärter von Dynasty a.k.a. Denver Clan oder Netflix‘ Nachfolge-Projekt zu Bloodlines und Ozark. Ihr merkt: Vergleiche lassen sich bei diesen Formaten über die Machenschaften von Familienclans nicht vermeiden, sind gleichzeitig aber quasi obsolet, weil sich durch die Menge an geistigen Nachfolger des Denver Clans hier über die Jahr schlicht ein eigenes Subgenre ausgebildet hat, das eben dem groben Regelwerk beziehungsweise Schema folgt, dass einst unter anderem durch den Kampf der fiktiven Ölfirmen Denver-Carrington und Colbyco in den Achtzigern initiiert wurde.
Seither scheinen diese Melangen aus Kriminalgeschichte, Ränkespiele innerhalb und außerhalb der zentralen Familie und leicht shakespeareeskem Schauspiel vor wechselnder Kulisse eine magische Faszination entwickelt zu haben, die dann, unter dem Zepter von den richtigen Showrunnern, zu so Geniestreichen wie Succession oder eben (über weite Strecken) auch Yellowstone geführt haben.
Die Erfolgsformel – oder vielleicht eher der Bausatz – besteht dann aus einer Patriarchen-Figur, deren Einfluss ins Wanken gerät, verschiedenen Parteien und möglichen Thronerben, die schon parat stehen, um ins Machtvakuum reinzuspringen und einem außergewöhnlichen Ereignis, dass die Dynamik erst so richtig entfacht. In The Waterfront spielt Holt McCallany erstere, wobei hier die Grundkonstellation mit den gesundheitlichen Schwierigkeiten und der Kehrtwende, doch wieder aktiver die Geschicke bestimmen zu wollen schon sehr nah an Succession dran ist.
Reichlich Aasgeier und Fressfeinde
Nach Öl-Industrie (Denver Clan), Viehzucht (Yellowstone), Medien (Succession) spielt der Neustart nun also im Milieu der Fischzucht, was als Setting ganz interessant ist, grundlegend aber doch wieder die gleichen Konfliktherde wie gehabt mit sich bringt. Die Quasi-Monopolstellung der Buckleys schürt natürlich Rivalitäten, macht in Phasen der Schwäche angreifbar und führt dazu, dass von „echter“ familiärer Liebe bei der wirtschaftlichen Abhängigkeit nicht mehr allzu viel übrig bleibt. Einzig bei Succession blendete man weitestgehend aus, dass es auch Gesetzesvertreter gibt, die nur darauf warten, dass die in der Grauzone der Legalität agierende Dynastie einen Fehler macht und sich für Ermittlungen Ansatzpunkte häufen.
In The Waterfront ist dann auch dieser Aspekt sehr zentral, denn die Netflix-Produktion ist eindeutig die Krimi-lastigste in diesem Subgenre in letzter Zeit, womit man dann fast schon in den gleichen Gewässern wie Ozark fischt – noch so ein Titel, zu dem sich die Parallelen mehr als nur andeuten. Sehr viel bewegt sich also in dieser neuen Serie auf vermeintlich ausgetretenen Pfaden, wobei sich, wie beschrieben, zeigt, dass die Nachfrage und das Interesse an derartigen Konstrukten nach einem gewissen Schema wohl lang noch nicht so abgenutzt haben, wie man meinen würde. Und wenn man dieser Stories überdrüssig ist, ist man wohl schlicht und einfach nicht die Zielgruppe.
Denn The Waterfront ist nicht aus Mutlosigkeit oder Ideenarmut so wie es ist, sondern weil man genau auf dieses spezielle Peublikum schielt, das dann exakt das bekommt, was es sich erhofft. Gleichzeitig ist der Neuling aber tatsächlich auch so simpel, geradlinig und handwerklich tadelfrei, dass man selbst ohne irgendeine der besagten Referenztitel verfolgt zu haben, hier dem Sog erliegen könnte – den zwar leicht klischeehaften, aber unglaublich schnell interessant gespielten Charakteren sei Dank!

Trotz mangelnder Innovation…
Never change a winning Erzählkonzept! Die Mischung aus „Wir gegen den Rest der Welt“-Mentalität einer Protagonistenfamilie, unter der harten Oberfläche angekratzten Seelen und markigen Charaktermomenten, unterstützt vom Wiedererkennungswert und Star-Appeal der Darstellenden, geht hier voll auf. Holt McCallany (Mindhunter) als Patriarch überzeugt durch seinen Spagat zwischen Grob- und Sanftheit, Maria Bello (Beef) ist als dessen Frau, die selbst Ansprüche entwickelt, das Oberhaupt zu bleiben, perfekt gecastet und Jack Weary ist nachdem er in Animal Kingdom bereits in einer Familien-Dynastie-Serie mitwirkte hier deutlich gereifter unterwegs und überzeugt als Korrektiv der Vernunft über aller Maßen. So könnte man nun schlicht bis zur kleinsten Nebenrolle durchgehen: The Waterfront ist zwar in den gezeigten Konflikten alles andere als ein Risikospiel, aber wenn Altbekanntes so in Perfektion dargeboten wird, dann ist das leicht zu verschmerzen.
Die Dialoge sind extrem weit weg von der Telenovela-Haftigkeit, die in diesem Subgenre schon einigen Formaten zum Verhängnis wurde, der Score ist genau richtig – weder zu aufdringlich noch austauschbar – und die technische Umsetzung ist so überzeugend, dass sich die Gegend, in der das ganze Geschehen platziert ist, maximal lebensecht und haptisch anfühlt.
… eine der packendsten Serien des Jahres
Das Mitfiebern mit den Buckleys lässt einen nicht mehr los, ist man erstmal am Haken, die emotionalen Momente haben eine fast hundertprozentige Trefferquote und auch der Krimi-Plot ist mehr als ein Gimmick, um mehr Fleisch an den Knochen zu bekommen. Kurzum kann man festhalten, dass The Waterfront zwar wenig neu, aber dafür nahezu nichts falsch macht, die eigenen Stärken exzellent herauszuarbeiten vermag und sich damit kurz vor dem Cut des ersten Halbjahrs 2025 noch einen Platz unter den besten Neustarts des Jahres sichern kann.
© Netflix
Unser Fazit zu The Waterfront
Wer nach dem abrupten Ende von Yellowstone noch immer kämpft, wer nach Ozark Lust auf neue Geschichten in ähnlichen Gefilden hat und wer generell alles, was sich nach Denver Clan und Co. anhört, mag, der wird nun mit The Waterfront einen Kandidaten für die besten Serien des Jahres bekommen. Familiendrama meets Krimi nahe der Perfektion, weil man den starken Schauspielerinnen und Schauspielern fantastische Rollen und Dialoge auf den Leib geschneidert hat.
The Waterfront ist am 19. Juni bei Netflix gestartet.
Daheim in Oberfranken und in nahezu allen Film- und Serienfranchises, schaut Jan mehr als noch als gesund bezeichnet werden kann. Gäbe es nicht schon den Begriff Serienjunkie, er hätte bei über 200 Staffeln im Jahr für ihn erfunden werden müssen. Doch nicht nur das reine Konsumieren macht ihm Spaß, das Schreiben und Sprechen über das Gesehene ist mindestens eine genauso große Passion. Und so ist er inzwischen knapp fünf Jahre bei Filmtoast an Bord und darf hier seine Sucht, ähm Leidenschaft, ausleben. Die wird insbesondere von hochwertigen HBO- und Apple-Serien immer wieder aufs Neue angefacht und jeder Kinobesuch hält die Flamme am Lodern. Es fällt Jan, wie ihr euch bestimmt wegen der Masse an Geschautem vorstellen könnt, schwer, Lieblingsfilme, -serien oder auch nur Genres einzugrenzen. Er ist und bleibt offen für alles, von A wie Anime bis Z wie Zack Snyder.