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Ein Highlight von Suspiria: die Tanzszenen © Amazon Studios

Suspiria (2018)

Mit Suspiria (2018) wagt sich der italienische Regisseur Luca Guadagnino an eine Neuinterpretation des gleichnamigen Kultfilms von Horrormeister Dario Argento.

TitelSuspiria (2018)
Jahr2018
ProduktionslandItalien, USA
RegieLuca Guadagnino
DrehbuchDario Argento, Daria Nicolodi, David Kajganich
GenreHorror, Drama, Fantasy
DarstellerDakota JohnsonTilda SwintonChloë Grace MoretzMia Goth, Angela Winkler, Ingrid Caven, Alek Wek
Länge152 Minuten
FSKab 16 Jahren freigegeben
VerleihCapelight
Das offizielle Plakat zu Suspiria mit alternativem Motiv © Amazon Studios
Das offizielle Plakat zu Suspiria mit alternativem Motiv © Amazon Studios

Die Handlung von Suspiria (2018)

„Sie werden mich schlachten und meine Fotze von einem silbernen Teller essen“

Die Amerikanerin Suzy Bannion verlässt im Jahr 1977 ihre Heimat Ohio, um in einer renommierten Tanzschule in Berlin das künstlerische Handwerk zu erlernen. Dort angekommen stellt sie jedoch bald fest, dass mehrere Mädchen unter dunklen Vorzeichen verschwinden. Dunkle Mächte scheinen ihr Unwesen zu treiben. Licht in diese Angelegenheit bringen möchte auch der Psychologe Dr. Josef Klemperer, der öfter Sitzungen mit einem der verschwundenen Mädchen abgehalten hat und zunächst skeptisch ist, ob diese nur von Wahnvorstellungen berichtet oder dahinter doch etwas Wahres steckt.

Luca Guadagnino und die Bildsprache des Remakes

Horror-Regisseur Dario Argento war besonders in den 70er und 80er Jahren eine Ausnahmeerscheinung des Genres, mit virtuosen Kameraeinstellungen und -fahrten sowie wild anmutenden Farbspielereien faszinierte er sein Publikum. Auch Größen wie Quentin Tarantino zeigten sich tief beeindruckt und zollten ihm in ihren Filmen Respekt. Der Regisseur Luca Guadagnino tritt mit Suspiria (2018) nun in große Fußstapfen. Dabei hat der italienische Landsmann Argentos in jüngster Vergangenheit bereits mit A Bigger Splash und Call Me by Your Name visuell betörende Filme geschaffen.

Kluger Weise versucht er in seiner Neuinterpretation des Horrorstoffs erst gar nicht, mit Argento zu konkurrieren. Vielmehr wirkt Guadagninos Bildgestaltung geradezu wie eine Antithese. Während das Original von 1977 wie ein märchenhafter, fiebrig-verklärter Alptraum erscheint, bleicht Guadagnino jede Farbenfreude aus seinen Bilder heraus. Entsättigte Farben herrschen vor, die ihre Leuchtkraft schon lange verloren zu haben scheinen. Es dominieren Grautöne – die Berliner Mauer ist so matt und schmucklos wie die Betonbauten, die sie voneinander abgrenzt. Zusammen mit dem häufiger stattfindenden Platzregen schafft es der Regisseur so, die unangenehme politische und gesellschaftliche Stimmung des sogenannten „Deutschen Herbstes“ visuell abzubilden.

Dakota Johnson spielt in Suspiria die junge Tänzerin Suzy Bannion © Amazon Studios
Dakota Johnson spielt in Suspiria die junge Tänzerin Suzy Bannion © Amazon Studios

Trotz seiner Eigenständigkeit imitiert der Regisseur ein ums andere Mal die Art und Weise der Inszenierung, wie sie in den 1970er-Jahren typisch war. So rückt die Kamera mit schnellen Zooms aus der Ferne bis ins Close-up eines Darstellers. Außerdem lassen Zeitlupenaufnahmen gewisse Momente besonders bedeutungsschwer erscheinen. Auf diese Weise ist nicht nur das Setting, das geteilte Berlin im Jahr 1977, eine Nachahmung der Vergangenheit. Technisch gesehen erscheint auch Suspiria (2018) so, als wäre er tatsächlich in dieser Zeit entstanden.

Der längste Horrorfilm der Geschichte?

Dario Argento jagte seine Hauptfigur und damit den Zuschauer 90 Minuten lang durch ein buntes, quasi LSD-induziertes Labyrinth. Damit maß er dem visuellen Erleben wie in all seinen Werken die absolut größte Aufmerksamkeit bei. Die Stringenz der Handlung, das Auserzählen von Charakteren und der Anschluss der Szenen untereinander missachtete er teilweise sträflich.

Luca Guadagninos Suspiria (2018) ist dagegen ein stark entschleunigter, geduldig und vor allem sehr feinfühlig erzählter Film. Bereits mit der Eröffnungssequenz, in der eine nervlich zerrüttete Chloe Grace Moretz den Psychologen Dr. Klemperer aufsucht, wird klar, wie viel Zeit sich der Film einerseits für seine Figuren nimmt und wie sehr er andererseits das großartig designte Setting wirken lassen möchte. Auch nutzt der Film den gesamten Erzählstoff um den Hexenkult und die drei unterschiedlichen Anführerinnen (Mutter Tenebrarum, Mutter Suspiriorum, Mutter Lachrymarum), was Argento erst mit zwei weiteren Teilen der letztendlichen Trilogie (Suspiria, Inferno, Mother of Tears) genauer ausformulierte.

Dr. Klemperer möchte herausfinden, was in der Tanzschule wirklich vor sich geht © Amazon Studios
Dr. Klemperer möchte herausfinden, was in der Tanzschule wirklich vor sich geht © Amazon Studios

Terrorismus, Tanz und Tod in Suspiria (2018)

Suspiria (2018) verhandelt die Mythologie der Tanzschule als Hexenhaus umso tiefgreifender, indem er sie in die historisch-politische Situation des Deutschen Herbstes 1977 einbettet. Über Radio-, Fernseh- und Polizeiberichte erfährt der Zuschauer von den terroristischen Taten der Roten Armee Fraktion (RAF), mit denen diese die Freilassung ihrer inhaftierten Mitglieder aus der JVA in Stuttgart erzwingen wollten. So entführten in diesem Zusammenhang palästinensische Terroristen die Boeing „Landshut“ mit 91 Passagieren und die RAF hielt den Arbeitergeberpräsidenten und ehemaligen SS-Offizier Hanns Martin Schleyer gefangen.

Gerade die Entführung Schleyers zeigt, dass die RAF die verdrängte Schuld der Nazi-Zeit und ihrer Gräuel wieder ins Bewusstsein der Gesellschaft rufen wollte. In der von Helena Markos gegründeten Tanzschule wiederum, die der Regisseur zudem unmittelbar vor die Berliner Mauer, einem weiteren historischen Mahnmal, platziert, lässt Madame Blanc einen Tanz namens „Volk“ aus dem Jahr 1944 wieder aufführen. Dieser hypnotische, marionettenhafte Tanz steht metaphorisch für die Verführung und Fremdbestimmtheit der Gesellschaft im Dritten Reich. Mit diesem Verständnis ist unmittelbar einleuchtend, dass die große Aufführung des Stücks misslungen muss. Denn Suzy als Kopf des Ensembles nimmt sich zu viel individuelle Freiheit heraus und durchbricht damit den hexenhaften Bann der Gruppe.

Ein Highlight von Suspiria (2018): die Tanzszenen © Amazon Studios
Ein Highlight von Suspiria: die Tanzszenen © Amazon Studios

Mit solch einer politischen Ebene stellt der Regisseur die eigentlich kleinen intimen Geschichten seiner Filme immer wieder in einen größeren Bedeutungszusammenhang. Bereits in A Bigger Splash stranden unerwartet Bootsflüchtlinge im italienischen Liebesidyll der Figuren und in Call Me By Your Name sind ebenso Diskussionen über das Zeitgeschehen zu finden. In Suspiria (2018) erscheint Guadagninos Verwebung der Fiktion mit politischer Wirklichkeit bisher am rundesten. Die angedeuteten Zusammenhänge setzen aber etwas Geschichtswissen und Interpretationsbereitschaft voraus. „Wir brauchen Schuld und Scham“ aus dem Munde einer Hexe ist dahingehend allerdings ein klarer Hinweis, den Guadagnino zudem an besonders aussagekräftiger Stelle einstreut.

Ein bunter Cast zum Niederknien

Natürlich findet Guadagninos auch in seinem neuen Film Platz für seine Muse Tilda Swinton, die hier im Gegensatz zu A Bigger Splash aber nicht als fragile, sinnliche Frau auftreten darf. In Suspiria (2018) mimt sie die Rolle der schwer zu durchschauenden, zwischen Einfühlsamkeit und kalter Strenge schwankenden Tanzlehrerin Madame Blanc. Diese konkurriert mit Madame Markos, der Gründerin der Tanzschule, um die Führungsrolle. Trotz der würdevoll-distanzierten Inszenierung ihrer selbst entwickelt sie schnell einen Draht und eine Art Mentorenrolle für Suzy Bannion.

Deutlich überraschender als die wieder mal großartige Tilda Swinton ist die Besetzung der Hauptrolle mit Dakota Johnson, die einem größeren Publikum bisher vor allem durch die Shades of Grey-Trilogie bekannt wurde. Ihre aktuellen Rollen in reinrassigen Genrefilmen wie Drew Goddards Bad Times at the El Royale und eben Suspiria (2018) lassen aber vermuten, dass sie sich schnellstmöglich von dem kreierten Bild der etwas naiven und unsicheren jungen Frau lösen möchte. Allerdings spielt sie hier über weite Strecken auch eine eher unsichere, körperlich noch schwächelnde Person, die von dem eigentümlichen Bann der Schule und ihrer durchtriebenen Leiter überwältigt sowie gefangen genommen wird. Dass Johnson sich ein Jahr lang auf die Tanzszenen vorbereitete, tut dem Film sichtlich gut. Ihre Solo-Darbietungen mit fast schon verrenkten Gliedmaßen sorgen für ein seltsam schauriges Gefühl.

Dr. Klemperer möchte herausfinden, was in der Tanzschule wirklich vor sich geht © Amazon Studios
Tilda Swinton spielt die strenge Tanzlehrerin Madame Blanc © Amazon Studios

Neben der leider nur sehr kurz auftauchenden Chloë Grace Moretz können vor allem Ingrid Carven und Angela Winkler in ihren wichtigen Rollen als diabolische Hexen begeistern. Dabei legt jede von ihnen eine ganz eigene, unheimliche Präsenz in ihrem Spiel an den Tag, das so völlig fernab ist vom klassischen Hexenbild und doch so wirkungsvoll erscheint.

Thom Yorke und seine besondere Filmmusik

Lobt man den Cast, so darf man auch den Hauptverantwortlichen für den Original-Score nicht unerwähnt lassen. Thom Yorke ist ein weiterer Beleg dafür, dass Luca Guadagnino Argentos Vorlage neu interpretiert. Der Künstler der Band Radiohead erschafft eine zum Teil sehr eingängige Untermalung, bei der vor allem die dominanten Klavier-Stücke zu Beginn und im Finale verblüffen. Mit heller, fast schon feminin-engelsgleicher Stimme sowie betörend schönen Melodien überrascht der Brite und kontrastiert damit gerade gegen Ende das blutige Treiben.

Hier pokert Guadagnino sicherlich hoch und riskiert, dass sich manche Zuschauer womöglich völlig herausgerissen fühlen. Allerdings erklingen in Suspiria (2018) auch genügend verstörende Stücke, die mit seltsam fremdartigen, hochtönigen und schrägen Synthieklängen das Nervenkostüm des Publikums angreifen und es langsam zersetzen. Im Vergleich zu Argentos damaliger Haus-und-Hof-Band Goblin ist dieser Score also wesentlich ambivalenter, subtiler und situativer ausgerichtet. Die Grundstimmung ist dabei jedoch meist melancholisch sowie düster verklärt und bedient weitaus weniger das Ekstatische und Psychedelische der Vorlage. Die Musik funktioniert zudem unabhängig vom Film als ein großartiges Kunstwerk, mit dem der Künstler seiner Vita einen weiteren Meilenstein hinzufügt.

Die Tanzübungen verlangen Suzy alles ab | Suspiria (2018) © Amazon Studios
Die Tanzübungen verlangen Suzy alles ab © Amazon Studios

Fazit – Das Meisterwerk des Jahres

„Eine Mutter kann vieles ersetzen. Aber niemand kann eine Mutter ersetzen.“

152 Minuten ambitioniertes Arthouse-Kino – Luca Guadagniono liefert mit seiner Neuinterpretation des Argento-Kultfilms den besten Horrorfilm des Jahres, der sich nur mit Hereditary messen muss, aber im Grunde so viel mehr ist als reiner Genrefilm. Allerdings sind eine gute Portion Sitzfleisch und die Bereitschaft, sich in dem großartigen Setting und der eigentümlichen Stimmung zu verlieren, die Grundvoraussetzungen für einen gelungenen Kinoabend.

Tipp für den Kinobesuch: Sitzen bleiben bis zur Post-Credit-Scene.

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Hier die Bewertung der MovicFreakz – Redaktion:

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