Auf etlichen Festivals gefeiert und im Netz häufig – wenn auch nicht immer – bejubelt, kommt der irische Horror-Thriller Oddity jetzt auch ins deutsche Heimkino. Ob die vielen positive Reaktionen berechtigt oder übertrieben sind, erfahrt Ihr hier.

Die Handlung von Oddity
Dani (Carolyn Bracken) und Ted (Gwilym Lee) sanieren und bewohnen in Oddity ein abgelegenes Landhaus. Während Ted, Psychiater von Beruf, an einer nahe gelegenen Irrenanstalt Nachtschicht schiebt, wird Dani in dem Haus brutal ermordet. Tatverdächtiger ist Olin Boole (Tadhg Murphy), ein ehemaliger Patient der Klinik. War er wirklich der Mörder? Schließlich kommt auch er gewaltsam ums Leben. Sein Glasauge soll Danis blinder aber hellsichtiger Zwillingsschwester Darcy helfen, die Wahrheit herauszufinden. Und welche Bedeutung hat die monströse Holzfigur, die Darcy in Teds Haus schleppt?
Suspense zwischen rohen Ziegelwänden
Das Setting von Oddity ist gut gewählt. Die rohen, unverputzen Ziegelwände im Innern des Gutshofes vermitteln die richtige, unheimliche Atmosphäre. Der Anfang des Films verspricht Suspense. Während Dani eifrig am Werkeln ist, bemerkt sie ein Geräusch an der Haustür. Als sie ein kleines Schiebefenster öffnet, taucht dort plötzlich das Gesicht Olin Booles auf. Der durch das starre Glasauge unheimlich wirkende Blick verkündet Unheil.

Doch Booles will offenbar nichts Böses. Oder doch? Er warnt Dani vor einem vermeintlichen Eindringling. Und sagt, um sie zu schützen, müsse sie ihn ins Haus lassen. Dani zögert, überlegt. Soll sie die Tür öffnen? Oder würde sie gerade dadurch den Eindringling ins Haus lassen? Unmittelbar bevor die Entscheidung fällt, erscheint der Schriftzug mit dem Filmtitel Oddity. Die Zuschauenden dürfen rätseln. Das hat Charme.
Glasauge und Portiersklingel
Denn im nächsten Bild ist schon ein Jahr vergangen. Wir finden uns in der Irrenanstalt wieder. Einer der Patienten entdeckt eine grausam zugerichtete Leiche und hebt einen Gegenstand aus der blutigen Masse heraus: ein Glasauge! Jetzt folgt eine der schönsten Montagen des Films, der Schnitt von dem Glasauge auf die Spitze einer Portiersklingel in Darcys Hand, einem Gegenstand, der noch von Bedeutung sein soll.
Darcy besitzt einen Ramschladen voll seltsamer Gegenstände, die fluchbeladen sein sollen. Ein solcher lastet angeblich auch auf der Tischklingel. Wird sie geläutet, erscheint ein schlecht gelaunter, schon lange toter Page. Und wer will das schon? Mit dieser Fluchgefahr soll sich dann auch erklären, wieso Darcy, als blinde Ladenbesitzerin in Oddity keine Angst vor Diebstählen hat. Wie sie alleine ein solches Geschäft führen will, bleibt indes leider im Dunkeln. Ihre Hellsichtigkeit dürfte dafür kaum ausreichen, spricht sie doch erst beim Berühren von Gegenständen an.
Oddity zeigt eine fremde Welt
Nur eine von vielen Seltsamkeiten, die den Film von Damian McCarthy in eine befremdliche Sphäre der Künstlichkeit driften lassen. Oddity zeigt eine nahezu hermetische Welt, mit einer Klinik, in der es nur einen Arzt und einen Pfleger sowie ein paar wenige Patienten zu geben scheint. Für mehr reichte wohl das Budget nicht. Eine Welt, in der es selbstverständlich zu sein scheint, dass Darcy zum Besuch bei Ted und seiner neuen Freundin Yana (Caroline Menton) ein Jahr nach dem Mord an ihrer Schwester eine monströse Holzpuppe mitbringt. In ihrer Familie angeblich ein traditionelles Geschenk zum Hochzeitstag. Was weitere Fragen nicht nur bei Yana aufwirft.
Originell ist auch, dass Dani während der Sanierungsarbeiten in einem Zelt im Wohnzimmer übernachtet. Das ist strange, ermöglicht aber eine sehr effektiv gefilmte Tötungssequenz, an der die Zuschauenden im weiteren Verlauf natürlich nicht vorbei kommen. Man sieht Dani sich ängstlich in dem Zelt verkriechen. Man sieht den außen stehenden Mörder mit einer porzellanartigen Maske – einer von ein paar wenigen, aber sehr gelungenen Jump-Scares in Oddity. Dann folgt ein rascher Schnitt auf den Eindringling, wie er nach der Tat vor dem blutbefleckten Zelt sitzt. Gerade das Weglassen des eigentlichen Tötungsakts befeuert die Phantasie. Man sieht, es geht auch ohne Gore und Splatter!
Ein Spiel der Verbindungen
Als die Welt noch in Ordnung war, versuchte Dani mit dem Handy ihre Schwester anzurufen, erreichte aber nur die Mailbox. Die letzten Worte, die sie zu Darcy sprach, waren: „Wir sind verbunden.“ Für Zwillinge ja nicht ungewöhnlich. Der Satz wird zum Ende des Films noch von Bedeutung sein. Doch es gibt andere Verbindungen, die ein weiteres gelungenes Element von Oddity sind. So bleibt auch die hölzerne Bodenplatte, an der Dani in der ersten Inneneinstellung des Films arbeitet, am Ende nicht ohne Funktion. Die schon erwähnte Portiersklingel taucht wieder auf. Die Holzfigur, die plötzlich unerklärt doch unheilschwanger am Esstisch sitzt, wird eine Rolle spielen. Und auch der mehrfach scheinbar motivationslos in Klinikszenen montierte Patient mit Hannibal-Lecter-Maske bekommt noch seine Aufgabe.

Zähflüssig und voraussehbar
Dagegen wirken weite Teile des Films etwas wahllos zusammengestückelt. Schnitte sind mitunter holprig, insbesondere beim Wechsel von Zeitebenen. Die Inszenierung wirkt insgesamt eher zähflüssig. Die Dialoge sind nicht gerade berauschend. Absurd klingt es, wenn Yana auf der Suche nach ihren Autoschlüsseln die blinde Darcy fragt, ob sie sie gesehen habe. Das könnte natürlich auch an der Synchronisation liegen, die Originalfassung konnte ich nicht berücksichtigen. Sollte es Yanas Schlampencharakter verdeutlichen, ist es zu beiläufig. Leider bietet auch die Storyline nicht wirklich Überraschendes, schnell lassen sich die zu erwartenden Twists erraten.
Auch die Darstellerleistungen sind nicht gerade berauschend. Insbesondere Caroline Menton als Teds neue Freundin Yana könnte mit ihrem permanent übertrieben genervten Gesichtsausdruck der Daily Soap eines privaten TV-Senders entsprungen sein. Und trotz ihrer Doppelrolle wird Carolyn Bracken auch nicht viel abverlangt. Als Darcy muss sie nur mit stoischem Gesichtsausdruck vor sich hin starren. Dass sie dennoch ihre Augen gelegentlich auf bestimmte Objekte und Personen richtet, gehört zu den Merkwürdigkeiten von Oddity. Oder ihrer Hellsichtigkeit, sei’s drum.
© Tiberius Film
Unser Fazit zu Oddity
Generell lässt sich sagen, dass Oddity für den Genrefan einiges zu bieten hat. Aus filmästhetischer Perspektive gibt es viele gelungene Einstellungen, deren herausragendstes Merkmal, die Symmetrie der Bilder, einige Schauwerte liefert. Details wie effektvolle Jump-Scares und einige interessante Schnitte reichen indes nicht aus, den Eindruck einer etwas hölzernen Inszenierung gänzlich zu überdecken. Die Voraussehbarkeit der Handlung mindert die Spannung. Den teils begeisterten Kommentaren im Internet kann ich da nicht ganz folgen. Dennoch hat der Film dank vieler, auch mal witziger Einfälle, trotz deutlich sichtbar geringem Budgets einiges an Unterhaltungswert.
Oddity ist ab 6. März 2025 digital zu kaufen, ab 13. März auch zu leihen. Auf DVD und Blu-ray erscheint der Film am 3. April.
Andreas lebt im Raum Hannover. Er ist Journalist und fest angestellter Redakteur bei einer Tageszeitung – und nebenbei Musiker in einer Bluesrock-Band. Bei Filmtoast schreibt er seit 2019 Rezensionen. Filmfan ist er, seit er im zarten Alten von sechs Jahren von seiner Mutter jeden Sonntag in die Kindervorstellung des Stadtteilkinos abgeschoben wurde (so was gab es damals noch). Lieblingsgenre: Western, insbesondere die italienische Variante. Daher ganz klar der Lieblingsfilm: Spiel mir das Lied vom Tod, den er mit 12 schon dreimal im Kino gesehen hatte. Aber es gibt kaum ein Genre, dem er nichts abgewinnen kann. Weitere Favorites: Der Tod in Venedig, Im Zeichen des Bösen, 2001 sowie Leichen pflastern seinen Weg. Tja, und sein Guilty-Pleasure-Favorite ist Predator 2 von dem total unterschätzen Stephen Hopkins. Filme guckt er zwar gerne im Kino, ist aus Zeitmangel aber auf das Heimkino gewechselt, weshalb seine private Filmsammlung auch mehr als 1000 Titel umfasst.

