Es ist einige Jahre her, dass die beiden ES-Filme im Kino Genre-Geschichte schrieben: Keine Horror-Reihe war an den Kinokassen erfolgreicher. Entsprechend logisch ist es, dass man die Marke nun seitens Warner im Seriensegment weiterführen will – aber ist Welcome to Derry auch gut genug, um dem gerecht zu werden?
Darum geht’s in Welcome to Derry
Derry, im Jahr 1962: Die Familie Hanlon zieht in die scheinbar idyllische Kleinstadt im US-Bundesstaat Maine, um ein neues Leben zu beginnen. Während die Eltern versuchen, sich mitsamt ihrem kleinen Sohn einzuleben, häufen sich bald beunruhigende Vorfälle: Immer wieder verschwinden kleine Kinder spurlos, und seltsame Erscheinungen versetzen die Bewohner in Angst. Unterdessen schließen ein paar Jugendliche eine schicksalhafte Freundschaft und entdecken gemeinsam ein uraltes Grauen, das tief unter der Stadt lauert. Sie geraten in einen Strudel aus dunklen Geheimnissen – bis sich die unfassbare Bedrohung allmählich in einer unheimliche Clownsgestalt verdichtet.

*** Sky hat uns vorab fünf der acht Folgen der neuen HBO-Serie zur Verfügung gestellt. Entsprechend bezieht sich der kritische Teil lediglich auf diesen Anteil der gesamten ersten Staffel***
Serien zu Filmhits
Es gibt diese Format-Übertragung in beide Richtungen: Auf der einen Seite werden erfolgreiche Filme gern mit Kino-Geschichten erweitert oder abgeschlossen. Speziell im Anime-Bereich ist dies fast an der Tagesordnung, aber auch beispielsweise Sex and the City fand einst den Weg vom Bildschirm auf die Leinwand. Und auf der anderen Seite versucht man eben auch regelmäßig Erfolgs-IPs vom Lichtspielhaus ins Wohnzimmer zu bringen, wie erst im vergangenen Jahr mit der Dune: Prophecy – mit mittelmäßigem Erfolg – oder – mit etwas mehr positiver Resonanz – mit Peacemaker im Nachgang zu The Suicide Squad.
Mit mehreren Jahren Abstand zum zweiten Kapitel der Stephen King-Verfilmung wagt sich nun also Andy Muschietti zurück dorthin, wo Pennywise alle 27 Jahre entsetzlichen Horror entfacht: nach Derry. Während uns die beiden Horrorhits die Clown-Invasionen anno 1989 und 2016 mit den gleichen Protagonisten in zwei Altersvarianten zeigten, geht es für die erste von drei geplanten Staffeln von Welcome to Derry nochmal um die selbe Jahreszahl zurück innerhalb des 20. Jahrhunderts. Die kommenden Staffeln sollen dann – bei Erfolg – jeweils nochmal den gleichen Sprung vollziehen – und dann tatsächlich beim Ursprung allen Übels ankommen… Dementsprechend ist also diese Serie ein astreines Prequel. Und für Prequels gelten seit jeher besondere Regeln, denn sie müssen einerseits eine Lore respektieren, andererseits diese sinnvoll erweitern ohne sie zu entmystifizieren.
Retrotrip entdeckt neues Jahrzehnt
Sind wir mal ehrlich: sooo viel Unterschiede zu Netflix‘ Erfolgsserie Stranger Things gibt es auf den ersten Blick hier nicht. Beide Formate haben vor allem ein Jugendabenteuer im Mittelpunkt, bei dem sich heranwachsende Außenseiter gegen etwas übernatürlich Bedrohliches behaupten müssen und dabei in detektivischer Arbeit den Ursprüngen auf den Grund gehen. Während jedoch die Upside-Down-Story vor allem die 80er und frühen 90er für die Kids von heute zum Retro-Eldorado auserkoren hatte – eigentlich analog zum ersten Es-Kapitel – sollen nun in Welcome to Derry die Sechzigerjahre vom popkulturellen ins allgemeine Gedächtnis zurückkehren.
Es ist wirklich schön zu beobachten, wie selbst die an die jungen Zuschauer adressierten Formate mit ihren Retro-Aspekten nicht nur seelenlos mit der damaligen Popkultur und diesbezüglichen Anspielungen arbeiten, sondern wie hier ein weiteres Mal auch die damaligen Gesellschaftsverhältnisse, die Welt- und natürlich besonders die US-Politik mit in die Handlung einzahlen. Das, in Verbindung mit einem wirklich starken Look and Feel, sorgt rein objektiv schon mal für eine sehr lebendige Zeitreise in ein Jahrzehnt, das für die primäre Zielgruppe inzwischen nicht mehr die Zeit, in der ihre Eltern im Alter der Handlungsträger waren, aufgreift, sondern zeigt, wie es mutmaßlich war, als ihre Großeltern Teenager waren.

Mix aus Bekanntem und Frischem
So finden sich nun in Welcome to Derry auf der einen Seite sehr viele der typischen Coming-of-Age-Elemente, die schlicht in dieser Art Geschichte unabdingbar sind, die eben komplett unabhängig davon scheinen, ob man seine Jugend in den 50ern, 60ern oder in den 90ern verlebte. Heute mag es etwas anderes sein, aber über Jahrzehnte prägten die mehr oder minder strikten Klassen- und Rassenunterschiede in den USA noch die Gesellschaft – und damit zwangsläufig das Zusammenleben in einer Kleinstadt wie Derry. Damit schlägt die Serie aufgrund ihrer früheren Platzierung dann manchmal eher Lovecraft Country-Töne an und fühlt sich weniger nach dem Spielberg’schen Jugendzeitideal an, das einige Jahre später en vogue wurde.
Und auch, die alltägliche Nähe zum militärischen Apparat, was auch beispielsweise in der immer mitschwingenden Angst vor dem Atom-GAU widerspiegelt, verleiht dem World Building hier eine weitere Dimension und sorgt für ein Plus an Authentizität.
Sowohl die „Alten“ als auch die „Jungen“ überzeugen
Ähnlich wie auch in den Es-Filmen – und natürlich Stranger Things – setzt die neue HBO-Serie auf ein Ensemble aus bereits etablierten, aber nicht extrem namhaften erwachsenen Darsteller:innen, und auf einen Reigen von weitestgehenden Newcomerin in den Rollen der Kids. Die Ausgewogenheit gelingt dabei in Welcome to Derry über aller Maßen: Die junge Garde rund um Mikkal Karim Fidler, Clara Stack und Amanda Christine steht dem „Club der Verlierer“ von 2017 in nichts nach. Und von den erwachsenen Figuren stechen insbesondere die beiden Hanlons, gespielt von Taylour Paige (Beverly Hills Cop 4), Jovan Adepo (Watchmen) und Chris Chalk (Perry Mason) als Dick Hallorann hervor, wobei sich Dexter–Fans auch über ein gelungenes Wiedersehen mit James Remar freuen dürfen.
Bis allerdings die eigentliche Attraktion – Bill Skarsgård als Horrorclown Pennywise – in der neuen Serie in Erscheinung tritt, müssen sich die Zuschauenden ein wenig gedulden – ohne an dieser Stelle zu viel zu verraten…

Kinoreife Optik mit Innovations-Handbremse
Was ebenfalls noch zu erwähnen wäre, ist der ausgeklügelte, fantastisch bebilderte Vorspann, womit HBO mal wieder an dieser Front ein Ausrufezeichen zu setzen weiß. Nicht nur das Intro ist aber qualitativ auf allerhöchsten Level angesiedelt; die ganze Serie sieht enorm hochwertig aus. Angefangen bei der 60s-Ausstattung, den überzeugenden Kostümen und dem wahnsinnigen Fuhrpark bis hin zu den Effekten mit denen der Horror hier immer wieder aus dem Bildschirm scheinbar in Richtung des Zuschauenden überspringt, macht Welcome to Derry einfach richtig was her!
Der Shock-Value ist überdies ordentlich, wobei sich Muschietti nicht nochmal neu erfinden kann: Einige Momente wirken schon sehr nah dran an dem erfolgreichen Kinozweiteiler, sodass die Frische in Bezug auf die Horror-Ideen ein Stück weit (noch) ausbleibt. Natürlich beißt sich hier mal wieder der Hund in den eigenen Schwanz, denn für ein Weiterspinnen der Film-Ideen ist dieses Gefühl von Vertrautheit natürlich nicht verkehrt. Nur bleibt es mal wieder ein Ritt auf der Rasierklinge, ab wann es in Redundanz übergeht…
Einige Sequenzen haben dabei aber trotzdem eine extrem gruselige Atmosphäre und spielen wieder gekonnt mit den Ängsten der Kids – und auch der Zuschauenden. So wird beispielsweise ein Supermarkt-Einkauf in der zweiten Folge zu einem Horrortrip, den man so schnell nicht vergisst, auch weil die junge Darstellerin hier einen fantastischen Job macht. Im Verlauf gibt es noch ein paar solcher mutmaßlich stilprägender Momente – aber es könnten eben noch mehr sein.
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Unser vorläufiges Fazit zu ES: Welcome to Derry
Das ES-Prequel Welcome to Derry wandelt auf dem schmalen Grad zwischen eigenständiger Welterweiterung der Kinogeschichte und dreistem Stranger Things-Klon. Zum Glück hat Andy Muschietti ein extrem starkes Händchen beim Zusammenstellen seines Cast bewiesen, sodass man vor allem wegen der Darstellenden und den Figurengeschichten jeder Zeit das Geschehen, egal wie uninnovativ es sein mag, interessiert verfolgt. Außerdem merkt man der Produktion auch in jeder Szene an, dass hierfür viel Herzblut und Geld gefloßen sein muss. Ein Muss für Fans der Filme, ein guter Appetizer vor dem Serienfinale von Netflix' Stranger Thrings und ein überdurchschnittliche Serie für den Horrorherbst im Allgemeinen.
ES: Welcome to Derry startet am 27. Oktober bei Sky/Wow in Deutschland.
Daheim in Oberfranken und in nahezu allen Film- und Serienfranchises, schaut Jan mehr als noch als gesund bezeichnet werden kann. Gäbe es nicht schon den Begriff Serienjunkie, er hätte bei über 200 Staffeln im Jahr für ihn erfunden werden müssen. Doch nicht nur das reine Konsumieren macht ihm Spaß, das Schreiben und Sprechen über das Gesehene ist mindestens eine genauso große Passion. Und so ist er inzwischen knapp fünf Jahre bei Filmtoast an Bord und darf hier seine Sucht, ähm Leidenschaft, ausleben. Die wird insbesondere von hochwertigen HBO- und Apple-Serien immer wieder aufs Neue angefacht und jeder Kinobesuch hält die Flamme am Lodern. Es fällt Jan, wie ihr euch bestimmt wegen der Masse an Geschautem vorstellen könnt, schwer, Lieblingsfilme, -serien oder auch nur Genres einzugrenzen. Er ist und bleibt offen für alles, von A wie Anime bis Z wie Zack Snyder.

