Das Familiendrama Der verlorene Sohn basiert auf wahren Ereignissen. Lest in unser Review, ob der Film den Spruch bestätigt, dass das echte Leben die stärksten Geschichten schreibt.
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No data available.Die Geschichte von Der verlorene Sohn
Jared Eamons (Lucas Hedges) ist homosexuell. Als er sich eines Tages seiner Familie gegenüber äußert, ist die Erleichterung, es endlich ausgesprochen zu haben, groß. Doch die zutiefst konservative Gemeinde und sogar seine eigenen Eltern (Russell Crowe, Nicole Kidman) sehen ihn nun in einem ganz anderen Licht. Er wird als Fehler von Gott betitelt und gemieden. Als wäre das nicht genug, konsultiert sein Vater, der Baptisten-Prediger ist, seine Bekannten, die ihm dazu raten, Jareds Homosexualität zu heilen, indem er für einen unbekannten Zeitraum ein sogenanntes Umerziehungscamp besuchen soll.
Sich den Wünschen und dem Druck seiner Familie beugend, die eigentlich nur das beste für ihren Sohn, aber auch ihren eigenen Ruf wollen, begibt Jared sich in die Einrichtung zur Therapie. Die Erfahrungen, die er in seinen Wochen dort macht, könnten entwürdigender und unmenschlicher nicht sein. Schafft Jared es, sich seine Identität zu bewahren, sich nicht weiter verstellen zu müssen und aus diesem Gefängnis auszubrechen?
Willkommen beim Erneuerungsprogramm!
Oder anders gesagt: Willkommen in der Hölle auf Erden. Denn nichts anderes ist das christliche Umerziehungcamps in den USA, das Jared Eamons gezwungen ist zu besuchen. Das Motto dieser Einrichtung lautet „Durch Schein zum Sein“. Eine Redewendung, bei der mir schon immer ganz übel wurde. In Der verlorene Sohn wurde diese Wirkung noch verstärkt. „Werdet zu dem Mann, der ihr nicht seid.“ Was für ein Blödsinn. Der Film wird mit zunehmender Laufzeit und den fortwährenden Vorführungen der Charaktere immer aufwühlender und entlädt sich in einigen emotional beinahe unerträglichen Spitzen. So kommt es unter anderem in einer Szene dazu, dass einer der Jugendlichen wie bei einem Exorzismus Schläge mit der Bibel über sich ergehen lassen muss. Von seinem eigenen Vater und von seiner kleinen Schwester.
Die führenden Kräfte des Umerziehungscamps, die eher wie Sektenführer anmuten, predigen stets davon, dass ihre homosexuellen Klienten zur Besinnung kommen müssen, lenken sie aber in eine Besinnungslosigkeit, in der ein Überleben nur noch durch aufgezwungene Anpassung möglich ist. Jared Eamons hatte zunächst keine andere Chance, als bei diesem Spiel mitzuspielen und gerade seinen liebenden Eltern gegenüber gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Als er dann endlich sowohl innerlich als auch äußerlich aus diesem Gefängnis ausbricht, ist das eine große Erleichterung und nicht nur die liebgewonnene Hauptfigur, sondern auch der Zuschauer kann wieder aufatmen.
Wundervolle Charakterzeichnung
„Ich wünschte, das wäre alles nie passiert. Aber manchmal danke ich Gott dafür, dass alles so kam.“
Die Hauptfiguren sind in ihrer Charakterzeichnung so liebevoll ausgearbeitet und authentisch. Das sich aus diesem Zwiespalt ergebende, emotionsgeladene Drama kommt gänzliche ohne Effekthascherei oder überschwänglichen Kitsch aus und lebt von seinen vielschichtigen, stark gespielten Charakteren. Auch wenn Jareds Familie nur das beste für ihren Sohn will, so sind sie in ihren Motiven doch schmerzlich fehlgeleitet. Das Ergreifendste an der Geschichte sind Jareds Bemühungen, den Kontakt zu seinem hin und her gerissenen Vater nicht zu verlieren. So gibt es gerade am Ende eine Szene zwischen den beiden hier erstklassig aufspielenden Darstellern Russell Crowe (The Nice Guys) und Lucas Hedges (Three Billboards Outside Ebbing, Missouri, Mid90s), die wirklich ungemein bewegt und zu Tränen rührt.
Ein nach wie vor wichtiges Thema
Wer glaubt, wir wären mittlerweile in einer aufgeklärten, weltoffenen Zeit angekommen, der irrt. Das Thema Homosexualität ist nach wie vor ein äußerst aktuelles und brisantes Thema, das es unbedingt aufzuklären gilt. Zumal in den vergangenen Jahrzehnten ganze 700.000 Jugendliche solche oder ähnliche Umerziehungseinrichtungen in den USA besucht haben. Die Dunkelziffer wird wohl noch höher liegen. Doch auch Deutschland ist nicht ganz frei von solch fragwürdigen Therapien und Praktiken. Nun könnte Regisseur Edgerton mit seinem Film natürlich den einfachen Weg gehen und die Kirche samt all ihrer Anhänger an den Pranger stellen und diese als per se böse und in ihren Motiven falsch darstellen. Das geschieht Gott sei Dank zu keinem Zeitpunkt, auch wenn es einige lautstarke Stimmen in den sozialen Medien irrtümlicher Weise so aufgenommen haben. Viel mehr stehen hier die scheinheiligen Praktiken im Vordergrund und am Pranger.
Mein Fazit zu Der verlorene Sohn
Der verloren Sohn ist ein stiller Film, der so viel zu erzählen hat. Joel Edgerton (It Comes at Night, Der große Gatsby), der bereits bei dem spannenden Psychothriller The Gift Regie führte, nahm auch hier wieder auf dem Regiestuhl Platz und auch Der verloren Sohn kann sich wieder wirklich sehen lassen, wobei eine Kürzung von circa 20 Minuten dem Film sicher gut getan hätte. Gemeinsam mit Garrard Conley ist Edgerton aber auch ein hervorragendes Drehbuch gelungen, das sich vor allem durch die liebevolle und authentische Charakterzeichnung auszeichnet.
Dabei zeigt er in seinem gefühlvollen Familiendrama auf, dass es nicht die Homosexuellen sind, die sich ändern und zur Besinnung kommen müssen, sondern die erzkonservativen Personen solcher Einrichtungen. Der verlorene Sohn lässt einen bei der hier gezeigten Verblendung mit dem Kopf schütteln, den Ausbruch der Hauptfigur aus seinem emotionalen Gefängnis bejubeln und mit einem beflügelten Gefühl und vielleicht sogar der einen oder anderen Träne zurück.
Der verlorene Sohn ist seit dem 21. Juni erhältlich.
Unsere Wertung:
© Universal Pictures