Sie ist die erste Regisseurin, die einen Regie-Oscar gewinnen konnte, ist seit Jahrzehnten eine feste Größe in einer männerdominierten Gilde und bringt nun einen neuen Film zu Netflix – Zeit, Kathryn Bigelows sagenhaften Werdegang noch einmal nachzuzeichnen.
Alleinstellungsmerkmal
Zum Einstieg in unser Special gibt es einen kleinen Selbsttest: Wie viele weibliche Actionikonen fallen uns spontan ein? Wenn wir den Begriff großzügig auslegen, kommen wir bestimmt auf fünf und wenn unsere Genrekenntnisse besonders groß sind, vielleicht sogar auf zehn. War das zu einfach? Dann wird’s jetzt schwieriger: Nennt mal drei Regisseurinnen, die sich im Action-, Science-Fiction- oder Horrorgenre dauerhaft etabliert haben. Auch kein Problem? Dann überlegen wir mal, wie viele davon sich seit über 40 Jahren in Hollywood behaupten und immer noch relevant sind. Dass uns jetzt nur eine einfällt, hat einen einfachen Grund: Es gibt nur eine – the one and only Kathryn Bigelow.
Die 1951 in Kalifornien geborene Regisseurin hat ihren Status in der Filmwelt zementiert – obwohl die meisten ihrer Filme kommerzielle Flops waren. Betrachtet man Bigelows Filmografie, könnte man sogar meinen, sie habe ihren Weg in den Mainstream selbst torpediert. Dafür hat sie sich einen festen Platz als Kritikerliebling erarbeitet. Ihre Werke sind mutig, stilsicher und tragen eine unverwechselbare Handschrift. Sie stechen selbst dann aus der Masse hervor, wenn sie scheinbar nur die Konventionen bedienen. Anlässlich ihrer neuesten Regiearbeit A House of Dynamite wühlen wir uns durch die filmische Laufbahn von Kathryn Bigelow – als kleine Verbeugung vor einer der wenigen Genre-Regisseurinnen Hollywoods.
Die Lieblosen
Eigentlich ist aller Anfang schwer – doch das gilt anscheinend nicht für Kathryn Bigelow. Gemeinsam mit Co-Regisseur Monty Montgomery entwirft sie 1982 ein eindrucksvolles Sittengemälde des Amerikas der 50er-Jahre, das sich mühelos auch in die Gegenwart übertragen lässt. Das Regie- und Autorenduo erzählt nur bedingt eine stringente Geschichte. Vielmehr „beobachten“ sie, wie die Ankunft einer Motorradgang den Alltag einer kleinen Gemeinde in Georgia verändert. Die Menschen reagieren mit Neugier, fühlen sich provoziert oder sogar körperlich zu den Fremden hingezogen. Immer wieder wird dabei die allgegenwärtige Doppelmoral offengelegt.
Die Kamera unterstützt mit ihrem statischen Stil den beobachtenden Aspekt, während der Soundtrack scheinbar direkt aus der Jukebox kommt. Ein ungewöhnlicher Start, denn ihre späteren Werke zeichnen sich durch dynamische Bilder aus, die nah am Geschehen sind. Aber gerade das entschleunigte Tempo macht den Reiz ihres Langfilmdebüts aus: Es lässt uns die Welt und ihre Bewohner intensiv erleben und den Vibe der 50er-Jahre spüren.
Wer die frühen Werke von Jim Jarmusch – der zwei Jahre zuvor sein Leinwanddebüt feierte – mag, wird sich auch hier schnell heimisch fühlen. Neben Bigelow feiert auch Willem Dafoe ein Debüt: In seiner ersten Hauptrolle – zuvor war er lediglich in Michael Ciminos Heaven’s Gate zu sehen – zeigt er bereits jene Präsenz, die ihn später weltberühmt machen sollte.
Die Filmografie an den internationalen Kinokassen
- Zero Dark Thirty (2012) — $134,612,435
- Point Break (1991) — $83,531,958
- K-19: The Widowmaker (2002) — $65,716,126
- The Hurt Locker (2008/09) — $49,230,772
- Detroit (2017) — $23,355,100
- Strange Days (1995) — $17,000,000 (inkl. ca. $9 M international)
- Blue Steel (1990) — $8,217,997 (weltweit ≈ US, da kaum Auslandsdaten erfasst).
- Near Dark (1987) — $3,369,628
- The Weight of Water (2000) — $321,279
- The Loveless (1981/84) — k. A.
Near Dark – Jede Nacht hat ihren Preis
Wenn wir an Vampirfilme denken, entstehen meist dieselben Bilder: historische Kulissen, Dunkelheit, christliche Symbolik und Särge. Auch mehr als 100 Jahre nach dem erscheinen von Bram Stokers Dracula-Roman greift Hollywood noch immer auf die altbekannten Motive zurück – wie etwa die Neuverfilmung von Nosferatu. Umso erfrischender wirkt es daher, wenn Filmschaffende einmal von dieser vertrauten Formel abweichen. Near Dark verbindet Western, Roadmovie und Horror zu einem stimmigen Ganzen. Betrachtet man den Film aus der Perspektive der Antagonisten, wirkt er sogar wie ein Endzeitdrama: Sie bewegen sich nicht nur in einer für sie lebensfeindlichen Umgebung, sondern könnten mit ihrem Kleidungsstil und Verhalten ebenso gut einem Mad-Max-Vehikel entstiegen sein.
Die Handlung ist schnell erzählt: Der junge Caleb verliebt sich in die Vampirin Mae (Jenny Wright), wird gebissen und muss sich nun in ihrer brutalen Welt zurechtfinden. Ihre Familie besteht aus Anführer Jesse (Lance Henriksen), seiner Partnerin Diamondback (Jeannette Goldstein), dem unberechenbaren Severen (Bill Paxton) und dem ältesten Vampir im Körper eines Kindes (Joshua John Miller). Gemeinsam ziehen sie durchs Land, immer auf der Suche nach Opfern und einem Unterschlupf. Die Vampirdarsteller:innen haben sichtlich Spaß an ihren Rollen, aber besonders sticht Bill Paxton hervor, der einmal mehr herrlich überdreht aufspielen darf.
Schon in ihrem zweiten Film von 1987 zeigt Kathryn Bigelow ein feines Gespür für visuelle Inszenierung: spektakulär gefilmte Shootouts, blutige Effekte und atmosphärische Bilder. Untermalt wird das Ganze von einem stimmigen Soundtrack von Tangerine Dream. Genrefans werden auch die Nähe zu Kathryn Bigelows späterem Kreativpartner und Ehemann James Cameron bemerken.
Auch wenn sich Bigelow von unterschiedlichen Quellen inspirieren ließ, schuf sie mit Near Dark etwas Eigenständiges, das bis heute zu den Highlights des Vampirgenres zählt. Trotz des geringen Budgets blieb der Erfolg an den Kinokassen aus; erst auf dem Videomarkt fand der Film ein größeres Publikum. Wer Near Dark bis jetzt noch nicht gesehen hat, sollte das in unbedingt nachholen.
Blue Steel
Mit Near Dark bewies Kathryn Bigelow, dass sie Biss hat. Bei Blue Steel fehlt dieser hingegen etwas: Einerseits gelingt ihr das Spiel mit den Konventionen, andererseits bedient sie gängige Klischees. Herausgekommen ist ein etwas unausgegorener Mix aus Action und Drama – der optisch und akustisch dennoch ein echtes Brett ist. Der Beginn ist stark. Bigelow stilisiert ihre Hauptfigur Megan (Jamie Lee Curtis) zur Ikone, dank des gekonnten Einsatzes von Blaufilter, Licht und viel Staub. Doch wider aller Erwartungen scheiterte sie bei ihrem ersten Einsatz und muss sich nun gegen falsche Vorwürfe durchsetzen, während ihr männlicher Kollege den Einsatz komplett verpasst hat. Wer nun glaubt, ein Gerichtsdrama oder ein Film über patriarchale Strukturen stehe bevor, liegt falsch. Stattdessen gibt es eine sehr konstruierte Serienmörderjagd. Die Figuren übersehen offensichtliche Hinweise, Ron Silver liefert als Killer hemmungsloses Overacting und die eingestreuten Dramaelemente finden keine überzeugende Auflösung.
Je weiter die Handlung voranschreitet, umso mehr ergibt sich Bigelow den Konventionen, bis hin zu sehr problematischen Passagen. Ein Frauenschläger kommt mit einer kurzen Entschuldigung davon und Jamie Lee Curtis muss letzten Endes doch die Rollenklischees bedienen, gegen die ihre Figur eigentlich aufbegehrt. Ungeachtet der Schwächen bietet Blue Steel ein solides Seherlebnis – nicht zuletzt dank der dichten Neo-Noir-Atmosphäre, des großartigen Soundtracks von Brad Fiedel (wieder eine Cameron-Verbindung) und des bleihaltigen Finales.
Point Break – Gefährliche Brandung
Mit Point Break lieferte Bigelow ihren entscheidenden Beitrag zur Popkultur der 90er Jahre. Wie kaum eine ihrer männlichen Kollegen verstand sie die Mechanismen des Actionkinos und setzte sie so konsequent um, dass der Film heute fast wie eine stilisierte Parodie seiner Ära wirkt. Das beginnt mit ikonischen Zeitlupenaufnahmen von Patrick Swayze und Keanu Reeves, nimmt über testosterongeladene Namen und Dialoge – Hauptfigur Johnny Utah ist laut Drehbuch „young, dumb and full of cum“ – seinen Lauf bis hin zu den üblichen blutigen Schießereien. Dass sich ein Undercoveragent ausgerechnet in eine bankraubende Surfergang einschleusen muss, dürfte der Popularität zusätzlich geholfen haben. Anfang der 90er war Surfen und der damit verbundene Lifestyle schließlich voll im Trend – oder besser gesagt: totally rad, dude.
Der Nachhall von Point Break in der Popkultur ist bis heute spürbar: Seine Optik prägte das Actionkino der 90er, Regisseure wie Edgar Wright zitierten ihn, John C. McGinley spielt hier eine Blaupause seines späteren Dr. Cox aus Scrubs und als ultimative Adelung gab es 2015 sogar ein miserables Remake. Während Letzteres zu Recht floppte, war Gefährliche Brandung Bigelows erster hochverdienter Erfolg an den Kinokassen. Leider sollte ihr Höhenflug nicht lange anhalten.
Strange Days
Gefährliche Brandung traf den Nerv der Zeit, doch mit ihrem Nachfolgewerk war Bigelow ihrer Ära voraus – zumindest teilweise. Wie schon bei ihrem Erstlingswerk bedient sie nicht die Konventionen, sondern setzt eigene Maßstäbe. Die Geschichte um einen ehemaligen Polizisten, der unfreiwillig den Mord an einer befreundeten Prostituierten aufklären will und dabei einer umfangreichen Verschwörung auf die Spur kommt, erinnert zunächst an alte Noir-Klassiker. Doch sie kombiniert diese Elemente mit Cyberpunk-Optik und einem düsteren Soundtrack. Entstanden ist ein brutales, dreckiges und dystopisches Meisterwerk, in dem Bigelow erstmals gesellschaftspolitische Ereignisse in den Vordergrund rückt.
Anklänge gab es bereits in Die Lieblosen, Blue Steel und Gefährliche Brandung, doch der Einfluss der gewaltsamen Aufstände in Los Angeles vier Jahre zuvor ist hier unübersehbar. Die Proteste entzündeten sich am Freispruch mehrerer Polizisten, die 1991 einen Schwarzen brutal misshandelt hatten, nachdem dieser im betrunkenen Zustand vor der Polizei geflohen war. Dieses Ereignis wird in Strange Days konsequent weitergedacht: Los Angeles ist kurz vor der Jahrtausendwende zu einem Moloch verkommen, das von Gewalt, Rassismus und Hass geprägt ist. Die Menschen suchen Flucht in virtuellen Realitäten und laben sich an den Extremen. Bigelow benötigt kaum Worte, um diese Welt greifbar zu machen.
Wie bei jedem ihrer bisherigen Filme passt die Bildästhetik erneut perfekt zum Setting. Statt des Blaufilters und der kühlen Noir-Atmosphäre von Blue Steel herrscht nun ein in orange getauchtes Strandfeeling vor. Während in Bigelows bisherigen Filmen immer wieder Parallelen zu James Camerons Arbeiten zu erkennen waren, kam es hier zu ihrer ersten offiziellen Zusammenarbeit – vermutlich, weil sie zu diesem Zeitpunkt noch verheiratet waren. Sie trennten sich allerdings noch im selben Jahr.
Wie bei allen Bigelow-Produktionen ist auch hier die Besetzung erste Sahne: Ralph Fiennes (Conclave) spielt einen ehemaligen Polizisten, der seinen Lebensunterhalt nun mit illegaler Technik verdient. Er spielt wunderbar schmierig, trägt geschmacklose Kleidung und wieselt sich durch die Unterwelt. Angela Bassett überzeugt als toughe Leibwächterin, Michael Wincott (Nope) verkörpert wie schon zuvor in The Crow den diabolischen Fiesling und für Juliette Lewis (Natural Born Killers) war dies der Start ihrer Gesangskarriere.
Die Genialität von Strange Days entdeckten Publikum und Kritiker erst später. Im Kino floppte die Produktion – da half auch nicht, dass mit dem Drehbuch aus der Feder ihres Ex-Mannes James Cameron geworben wurde, der gerade mit Terminator 2 und True Lies zwei Hits in Folge gelandet hatte.
Das Gewicht des Wassers
Strange Days erhielt erst Jahre später die kritische Anerkennung, die er verdient. Das lässt sich von Kathryn Bigelows Nachfolgeprojekt allerdings nicht behaupten. Es sticht – genau wie Die Lieblosen – aus ihrem Œuvre hervor, ist aber zugleich ihr schwächster Film. Das Gewicht des Wassers ist eine detailgetreue Adaption des gleichnamigen Romans. Die Journalistin Jean unternimmt gemeinsam mit ihrem Mann und einem befreundeten Paar einen Bootstrip und nutzt die Reise, um einen Mord an drei jungen Frauen zu rekonstruieren, der vor über hundert Jahren in der Gegend geschehen ist. Die Handlung springt dabei fortwährend zwischen den beiden Zeitebenen hin und her.
Was auf den ersten Blick spannend klingt, entpuppt sich jedoch als dröges Drama um Liebe, Eifersucht und Intrigen. Selbst visuell enttäuscht das Gewicht des Wassers – ungewöhnlich für Bigelow, deren Werke sich durch eine starke Bildsprache auszeichnen. Bei einem Budget von 16 Millionen Dollar spielte Das Gewicht des Wassers spielte nur wenige Hunderttausend Dollar ein, trotz namhafter Schauspieler:innen jener Zeit und ist zu Recht in der Versenkung verschwunden.
K19- Showdown in der Tiefe
Apropos untergegangen: K19 – Showdown in der Tiefe aus dem Jahr 2002war Bigelows zweite große Chance auf den Mainstream: Trotz ihrer kommerziellen Misserfolge erhielt sie die Möglichkeit einen Big-Budget-Blockbuster mit zwei Weltstars zu inszenieren. Doch auch hier war ihr das Glück nicht hold. Das Projekt stieß weder bei Kritiker:innen noch Publikum auf Wohlwollen und floppte an den Kinokassen. K19 rekonstruiert die wahre Geschichte eines havarierten russischen U-Bootes. Harrison Ford und Liam Neeson verkörpern zwei Kapitäne, doch wirken sie – angesichts ihrer bisherigen Rollen – wenig überzeugend als russische Staatsbürger. Bigelow arbeitet sich an den üblichen Themen wie Ehre, Gehorsam und Loyalität ab, ohne ihnen neue Perspektiven abzugewinnen. Man bekommt den Eindruck, dass es sich um eine Auftragsarbeit handelt, denn die Inszenierung ist handwerklich sauber, aber ohne eigene Handschrift.
The Hurt Locker – Tödliches Kommando
Nach drei Flops hatte Kathryn Bigelow Schwierigkeiten, die Finanzierung für ihr nächstes Projekt zu sichern. Rückblickend lässt sich das als Segen für ihre Karriere deuten: Zwar dauerte es sechs Jahre, bis sie ihr nächstes Projekt finanzieren konnte, doch dann kehrte sie mit voller Wucht zurück. Vielleicht wäre es ohne den Misserfolg von K-19 The Hurt Locker nie entstanden und statt Filmgeschichte zu schreiben, hätte Bigelow wohl weitere mittelmäßige Blockbuster inszeniert. Tödliches Kommando wurde nicht nur sechsmal mit dem Oscar ausgezeichnet und zählt laut New York Times zu den 100 besten Filmen dieses Jahrhunderts, sondern Bigelow gewann 2010 als erste Frau überhaupt den Regie-Oscar. Sie konnte sich unter anderem gegen ihren Ex-Mann durchsetzen, der mit Avatar mal wieder den kommerziell erfolgreichsten Film der Geschichte inszeniert hatte.
Die zahlreichen Auszeichnungen sind mehr als gerechtfertigt, denn die Geschichte eines Bombenräumkommandos im Irakkrieg ist ebenso komplex wie spannend. Sie thematisiert nicht nur die Traumata der Soldaten, sondern bietet dem Publikum auch eine zutiefst immersive Erfahrung. Kameramann Barry Ackroyd bleibt dicht am Geschehen und fängt Bilder ein, die in ihrer Unmittelbarkeit an Nachrichtenaufnahmen erinnern. Ton und Schauspiel verstärken diesen Realismus zusätzlich: Der Boden vibriert bei Explosionen in Zeitlupe, die Anspannung steht den Schauspieler:innen ins Gesicht geschrieben und wir haben das Gefühl, mitten im Geschehen zu sein.
Mit Mark Boal fand sie einen Autor, der 2004 als Kriegsjournalist in Bagdad tätig war und dem Drehbuch daher eine besondere Authentizität verlieh. Die Anschläge vom 11. September 2001 waren für ihn der Anstoß, sich intensiver mit dem Irakkrieg und den Fragen nationaler Sicherheit auseinanderzusetzen.
Die wichtigsten Filme über den zweiten Irakkrieg
| Rang | Film | Regisseur | Weltweites Einspielergebnis |
|---|---|---|---|
| 1 | American Sniper (2014) | Clint Eastwood | ~ 547,7 Mio. $ |
| 2 | Zero Dark Thirty (2012) | Kathryn Bigelow | ? |
| 3 | The Hurt Locker (2008) | Kathryn Bigelow | ~ 49,2 Mio. $ |
| 4 | Green Zone (2010) | Paul Greengrass | ~ 94,9 Mio. $ |
| 5 | Valley of the Wolves: Iraq (2006) | Serdar Akar & Mitregisseure | ~ 27,9 Mio. $ (in der Türkei) |
Zero Dark Thirty
Mit Zero Dark Thirty liefert Kathryn Bigelow ihren kontroversesten Film ab. Basierend auf realen Ereignissen und den Nachwirkungen des 11. Septembers zeichnet sie die Jagd auf Osama bin Laden filmisch nach. Das Drehbuch schrieb erneut der Journalist Mark Boal, der die Ereignisse ausschließlich aus amerikanischer Perspektive beleuchtet. Zero Dark Thirty ist aber kein patriotischer Film. Bigelow zeigt das schonungslose Vorgehen der Amerikaner bei der Suche nach Bin Laden, ohne dieses moralisch zu bewerten. Die Hauptfigur Maya, gespielt von Jessica Chastain, agiert scheinbar skrupellos: Für sie heiligt der Zweck die Mittel.
Bigelow überlässt es dem Publikum, zu entscheiden, ob es diese Haltung teilt. Wie schon bei The Hurt Locker setzt sie auf einen dokumentarischen Stil, welcher der realen Geschichte die nötige Authentizität verleiht. In Interviews musste Bigelow daher immer wieder betonen, dass sie einen Spielfilm und keine Dokumentation gedreht habe. Die Ereignisse, die zur Ergreifung von Osama bin Laden führten, sind weitgehend bekannt; dennoch bietet Zero Dark Thirty neben Realismus auch reichlich Spannung und gehört zweifellos zu ihren besten Regiearbeiten.
Detroit
Aller guten Dinge sind drei, dachte sich wohl auch Kathryn Bigelow und entschied sich zum wiederholten Mal für eine Zusammenarbeit mit dem Autor Mark Boal. Auch ihr drittes Projekt basiert auf realen Ereignissen. Während Strange Days die Aufstände in Los Angeles fiktional aufarbeitete, beleuchtet sie nun die Bürgerrechtsaufstände von 1967. Ausgelöst wurden sie durch eine Razzia in einer illegalen Bar in Detroit. Alle Wut, genährt durch soziale Ungleichheit und systematische Diskriminierung der afroamerikanischen Bevölkerung, entlud sich in einer der größten Unruhen in den USA mit dutzenden Toten und mehr als tausend Verletzten.
Wie schon in ihren Vorgängerfilmen setzt Bigelow auf einen dokumentarischen Inszenierungsstil: Die Kamera befindet sich stets mitten im Geschehen und um die Authentizität zu steigern, werden Originalaufnahmen in das Filmmaterial integriert. In Verbindung mit dem hektischen Schnitt werden die Zuschauer:innen unmittelbar in das Geschehen hineingezogen und erleben Wut, Zerstörung und Chaos aus nächster Nähe. Bigelow und Boal zeigen ungeschönt die allgegenwärtige Diskriminierung und finden Bilder, die unter die Haut gehen. Keine dreißig Minuten vergehen bis das Bild eines erschossenen Snipers einem die Kehle zuschnürt. Doch auch die sinnlose Gewalt und das Ausnutzen der Situation auf der Gegenseite bleiben nicht unkommentiert.
„Kaum zu glauben, dass sich so etwas in Amerika abspielt“, murmelt ein Augenzeuge, während er auf das in Trümmern liegende Detroit blickt. Kaum zu glauben auch, dass Kathryn Bigelow mit einem Historiendrama ein Statement über das heutige Amerika gelingt, ohne ihre Aussage anpassen zu müssen. Detroit hat bis heute nichts von seiner Aktualität verloren: Als der Film 2017 veröffentlicht wurde, lagen gerade einmal drei Jahre seit den letzten Massenprotesten in Ferguson zurück und drei Jahre später sollte der Tod von George Floyd die Black-Lives-Matter-Bewegung auslösen.
Und wie geht es weiter?
Bereits auf einigen Festivals lief der von Netflix produzierte Kammerspiel-Thriller A House of Dynamite, der nun auch Ende Oktober im Streamingportal zur Verfügung stehen wird – eine Kritik zum Film mit Rebecca Ferguson und Idris Elba findet Ihr selbstverständlich zeitnah zum Release auf unserer Seite.
Was im Anschluss Bigelows nächstes Projekt sein wird, ist noch unklar. Gemeinhin lässt sich die Regiegröße inzwischen einige Zeit, um sich in ihre Arbeiten zu vertiefen. Doch angesichts der derzeitigen Weltlage und speziell der angespannten Situation in den USA könnte man schon eine Wette platzieren, dass hierzu die immer auch politisch lautstarke Filmemacherin in einigen Jahren etwas von Belang zu sagen haben wird – und dann wieder einen atemraubenden Thriller oder Actionfilm daraus entwickelt.
Stefan ist in der Nähe von Wolfenbüttel beheimatet, von Beruf Lehrer und arbeitet seit Mai 2024 bei Filmtoast mit. Seit seiner Kindheit ist er in Filme vernarrt. Seine Eltern haben ihn dankenswerterweise an Comics und Disneyfilme herangeführt. Bis zu seinem 8. Lebensjahr war es für ihn nicht nachvollziehbar, wie man Realfilme schauen kann. Aber nach der Sichtung des Films Police Academy und natürlich der Star Wars- Filme hat sich das geändert. Natürlich waren in seiner Kindheit auch die Supernasen, die Otto- und Didifilme Pflichtprogramm, denn worüber sollte man sonst mit den Anderen reden? Deswegen mag er einige dieser Filme bis heute und schämt sich nicht dafür.
Stefan setzt sich für die Erhaltung der Filmwirtschaft ein. Sei es durch Kinobesuche, DVD/ Blu- Ray/ UHD oder Streaming, je nach dem welches Medium ihm geeignet erscheint. Sein filmisches Spektrum und seine Filmsammlung hat sich dadurch in den letzten 30 Jahren deutlich erweitert, weswegen er sich nicht auf ein Lieblingsgenre festlegen kann.
